Taxdoo forscht und tüftelt an der digitalen Gesetzgebung

Taxdoo ist für die digitale Verschmelzung von Umsatzsteuer und Finanzbuchhaltung im Onlinehandel bekannt. Ganz so harmonisch und digital sieht die deutsche Gesetzgebung gegenwärtig allerdings nicht aus. Umso schöner, dass sich das Taxdoo RegTech Center an einem Forschungsprojekt zur digitalen Gesetzgebung mit dem Zentrum für Digitalisierung des Steuerrechts der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMUDigiTax) beteiligen durfte.
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 7 min. Lesezeit
Taxdoo forscht und tüftelt an der digitalen Gesetzgebung

Hintergrund und Inhalt des Forschungsprojekts

Unter Leitung des ehemaligen BFH-Präsidenten Professor Dr. Rudolf Mellinghoff führte das LMUDigiTax am 13. Januar 2023 ein Projekt zum Thema Digitale Gesetzgebung durch. Professor Dr. Matthias Grabmair (Professur für Legal Tech, Technische Universität München) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF) begleiteten das Projekt.

Ziel des Projekts war die Prüfung der Digitalisierbarkeit und Digitaltauglichkeit von Rechtsnormen. Dies sollte am Beispiel von außerordentlichen Einkünften (§ 34 EStG sowie § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002) demonstriert werden. Konkret gefragt war eine Softwarelösung zur Prüfung außerordentlicher Einkünfte, mit der die Beteiligten die digitalen Herausforderungen verdeutlichen sollten.

Hinsichtlich der Ausgestaltung der Software galten keine Einschränkungen. Ob Low Code, No-Code oder jegliche Programmiersprachen – alles war möglich. Im Vordergrund standen vielmehr Erkenntnisse darüber, wie die Beteiligten mit der digitalen Umsetzung von § 34 EStG umgegangen sind.

Neben Taxdoo präsentierten unter anderem KPMG, Deloitte, DATEV und mgm technology partners (bekannt für die Implementierung von Mein ELSTER) ihre Lösungen. Vertreter des Bundesministeriums des Innern sowie des Bundesministeriums der Justiz gehörten zu den interessierten Zuhörern.  

Welche Herausforderungen bringt die digitale Gesetzgebung?

Die Teilnehmer sollten ihre Ergebnisse anhand der Digitalisierbarkeit und Digitaltauglichkeit steuerlicher Normen präsentieren. Hinter diesen ähnlich klingenden Begriffen stecken unterschiedliche Anforderungen.

Digitalisierbarkeit von Steuergesetzen

Unter der Digitalisierbarkeit oder auch „Digitization” versteht man den Umwandlungsprozess eines analogen Signals in eine digitale Form. Umgemünzt auf Rechtsnormen: der Umwandlungsprozess eines analogen Gesetzes in eine digitale Form. Hiermit beschäftigt sich u.a. auch das Institut für Digitalisierung des Steuerrechts (IDSt, Fachausschuss I). Beim IDSt ist Taxdoo übrigens auch beteiligt. 

Digitaltauglichkeit von Steuergesetzen

Bei der Digitaltauglichkeit von Steuergesetzen („Digitalization”) geht es um die Frage: Wie muss eine digitale Umgebung aussehen, damit Steuergesetze in dieser genutzt werden können. Die Kriterien fassen Endres/Mellinghoff (Digitalisierung der Steuergesetzgebung, beck.digitax 2022, S. 366, 369) wie folgt zusammen:

  • einfache, klar definierte und verständliche Regeln;
  • restriktiver Einsatz sogenannter Digitalisierungshindernisse;
  • Begriffsharmonisierung;
  • Möglichkeit der automatischen Fallbearbeitung/Verarbeitung (digitale Vollzugstauglichkeit);
  • Medienbruchfreiheit bzw. technikneutrale Formulierung;
  • Konsistenz zwischen den Behörden inklusive einheitlicher IT-Strukturen;
  • Datenaustausch im Sinne von Interoperabilität;
  • sichere Datenverwaltung (Datenschutz);
  • Prävention von Betrug und Fehlern.

Ergebnisse des Forschungsprojekts

Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale – Was steht zwischen den Gesetzestextzeilen?

Professor Mellinghoff brachte seine jahrelange Erfahrung als Bundesverfassungsrichter und BFH-Richter in die Diskussion über die digitale Gesetzgebung ein. Er stellte vor allem heraus, inwiefern Softwarelösungen Rechtsprechung berücksichtigen sollten. Problematisch sei hier, dass die (Finanz-)Gerichtsbarkeit regelmäßig nur den konkreten Einzelfall prüft – ohne dabei allgemeine Ableitungen zu beabsichtigen. 

Exkurs: Rechtsprechung und der Einzelfall
In der Praxis werden Gerichtsurteile (BFH, EuGH etc.) häufig auf eine Stufe mit Gesetzestexten gestellt. Dies ist aus rechtsstaatlichen Gründen allerdings problematisch, weil Gerichte (ausgenommen das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Normenkontrollklage) nur den Einzelfall betrachten. Allgemein verbindlich bleibt für den Einzelnen nur das Gesetz. Trotz allem haben Urteile aus rechtstechnischer Sicht natürlich eine Relevanz. Die Rechtsanwender, also Kläger und die Finanzverwaltung, können sich auf sie berufen. Bei der Finanzverwaltung geschieht dies meist in Form eines BMF-Schreibens. Ebenso kann die Finanzverwaltung von der Möglichkeit Gebrauch machen, Urteile des BFH mittels eines Nichtanwendungserlasses zu ignorieren. Über den Einzelfall hinaus kommt das Urteil dann nicht zur Anwendung.  

Konkret beinhaltet § 34 EStG ein sogenanntes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, nämlich das der „Zusammenballung”. Die Krux bei ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen: Diese stehen nicht im Gesetzestext, müssen aber von allen Seiten berücksichtigt werden. Nur der juristische Laie ist dann häufig ratlos. Im Rahmen des Forschungsprojekts stellte sich daher die Frage:

„Sollten Softwarelösungen konkrete Einzelfallurteile berücksichtigen oder der sollten sie sich starr an den Gesetzeswortlaut halten?” 

Exkurs: Zusammenballung im Rahmen von § 34 EStG
Nach § 34 EStG sollen nur dann außerordentliche Einkünfte vorliegen – und damit eine Tarifbegünstigung – wenn diese Einkünfte im selben Veranlagungszeitraum zugeflossen, also „zusammengeballt” sind. Nur dann liegt eine besondere steuerliche Belastung vor, die es abzumildern gilt. Allerdings hat der BFH diesen Grundsatz in einer anderen Entscheidung etwas weniger restriktiv formuliert. Eine Zusammenballung kann auch dann vorliegen, wenn die außerordentlichen Einkünfte in mehr als einem Veranlagungszeitraum zufließen, solange eine Teilzahlung von der Höhe insignifikant ist.  

Was darf Software? Des Juristen liebste Antwort: „Es kommt drauf an.“

Im Rahmen des Projekts wurde daher heiß diskutiert, ob ungeschriebene Tatbestandsmerkmale von einer Software berücksichtigt werden sollten. Wenn ja, sollte dies dem Nutzer auch kenntlich gemacht werden? Und wie soll das am besten geschehen, um den Nutzer nicht mit juristischem Kleinklein zu nerven? Diese kontroverse Frage konnte sowohl aus digitaler als auch rechtsdogmatischer Sicht nicht abschließend geklärt werden. 

Aus Rechtsanwendersicht, also egal ob Rechtslaie, Softwareanbieter oder Finanzverwaltung, stellt sich die Frage, warum ungeschriebene Tatbestandsmerkmale überhaupt ein Thema sind. Solch eine Rechtsunsicherheit könnte – einfacher gesagt als getan – schließlich in den Gesetzeswortlaut überführt werden, wenn dieses Tatbestandsmerkmal sowieso schon von allen anderen Seiten berücksichtigt wird. Ungeschriebene Tatbestandsmerkmale sind also weniger ein digitales Problem, sondern vielmehr ein juristisches Problem. Dieses führt im digitalen Kontext ebenfalls zu Problemen. 

Technologische Lösungen müssen somit für alle Beteiligten transparent sein, damit diese die digitalisierte Umsetzung von Rechtsnormen nachvollziehen können. Und damit ersichtlich wird, ob die Entscheidung auf einem Gesetz, Urteil oder einer Verwaltungsanweisung beruht. 

Keine digitale Gesetzgebung ohne entsprechende IT-Infrastruktur

Ebenfalls am Start war das Bayerische Landesamt für Steuern. Dieses ist vor allem für KONSENS (Akronym: „KOordinierte Neue Software-ENtwicklung der Steuerverwaltung“) bekannt. Hierzu zählt auch die zentrale Koordinierung des ELSTER-Portals. Besonders wertvoll waren Informationen zu den Anforderungen an steuerliche Softwarelösungen. So müsse eine Software in der Lage sein, 1.000.000 Berechnungen pro Sekunde durchzuführen, damit sie bei der Finanzverwaltung eingesetzt werden kann. Dass das ELSTER-Portal gegenwärtig bereits bei 100.000 Berechnungen den Geist aufgibt, wurde allerdings auch eingeräumt. 

Exkurs: Künftige Datenmengen beim E-Invoicing
In Anbetracht der künftigen Datenmengen, die bei der Finanzverwaltung durch E-Invoicing zu erwarten sind, besteht ein erhebliches Risiko. Man stelle sich vor, dass mehrere Millionen steuerpflichtige Unternehmer bei einem künftigen E-Invoicing gleichzeitig eine Rechnung ausstellen und die Rechnungsdaten als strukturierter Datensatz bei der Finanzverwaltung landen. Die Auswertung der Daten und die Berechnung der umsatzsteuerlichen Steuerlast müssen ebenfalls zeitnah erfolgen. Dann erlebt die Finanzverwaltung quasi täglich die Belastung durch die Grundsteuererklärung.

Insofern sind hinsichtlich der Digitaltauglichkeit von Steuernormen folgende infrastrukturelle Vorgaben zu definieren:

  • Einsatz von strukturierten Datensätzen auf allen Verwaltungsebenen, um automatisierte Datenabfragen und einen Datenabgleich zu ermöglichen;
  • Konzeptionierung von Rechtsnormen vor dem Hintergrund ihrer digitalen Überprüfung. Also: Wie können Tatbestandsmerkmale mittels Datenpunkte referenziert und damit überprüft werden?
  • Konsequenter Userfokus bei der Nutzung von Verwaltungsportalen wie ELSTER, wie es das BZSt in seiner Digitalisierungsstrategie angekündigt hat;
  • dezentrale Verteilung von Rechenkapazitäten auf Landesbehörden (hier könnte der Föderalismus förderlich sein) und externe Lösungsanbieter;
  • offene Fehlerkultur („Einfach mal machen”) und offene Testphasen, um ein Chaos wie bei der OSS-Einführung zu vermeiden.

Fazit und Ausblick

Das deutsche Steuerrecht ist komplex. Für alle Beteiligten ist es eine Mammutaufgabe, die Normen in die digitale Gesetzgebung zu überführen. Das bedeutet, dass auch technologische Lösungen noch einige Zeit mit den mehr oder weniger digitalisierungsfähigen Normen zurecht kommen müssen. Hierbei stellt sich die Frage, wie digitale Lösungen die Rechtsprechung oder unbestimmte Rechtsbegriffe berücksichtigen können. 

Softwarelösungen können hier eine unverzichtbare Lösung sein, um der angesprochenen Komplexität Herr zu werden – sowohl auf Ebene der Finanzverwaltung als auch beim konkreten Rechtsanwender. 

Taxdoo und das RegTech Center bleiben auf jeden Fall im Diskurs mit Forschung und Verwaltung. Wir freuen uns auf die künftigen Projekte!

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