Single VAT ID: Rücken Marktplätze weiter in den Fokus?

Seit Einführung des One-Stop-Shop (OSS) im Juli 2021 hat sich die umsatzsteuerliche Komplexität bei der Verwendung von Lagerstrukturen im Onlinehandel nicht wie erhofft verringert, sondern deutlich erhöht. Abhilfe schaffen soll unter anderem die einheitliche EU-Mehrwertsteuerregistrierung (Single VAT Registration) im Rahmen der VAT in the Digital Age-Initiative der EU-Kommission. Doch bei der Umsetzung gibt es derzeit noch unterschiedliche Ideen und Vorstellungen.
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 4 min. Lesezeit
Single VAT ID: Rücken Marktplätze weiter in den Fokus?

Bereits in mehreren Beiträgen haben wir Euch erklärt, was es mit der Mehrwertsteuer-Initiative VAT in the Digital Age der Europäischen Kommission auf sich hat. (Einen Überblick findet Ihr hier). Wir erinnern uns: Ziel der Initiative ist es, das geltende Mehrwertsteuerrecht vor dem Hintergrund der Möglichkeiten digitaler Technologien zu modernisieren und zu erleichtern. 

Für Onlinehändler bestehen häufig noch Registrierungspflichten im EU-Ausland

Eine Single VAT ID – einer von drei Bestandteilen der Initiative – wäre definitiv eine große Erleichterung. Vor allem für die Händler, die nach Einführung des OSS weiterhin umsatzsteuerliche Registrierungen in anderen EU-Staaten aufrechterhalten müssen, etwa weil sie dort ein Warenlager nutzen. Die Registrierungen führen zu erheblichem Aufwand bei den Unternehmen und bilden zugleich administrative Hürden für den grenzüberschreitenden Handel in der EU. Deshalb sucht die Kommission nach Möglichkeiten, die Registrierungspflichten zu reduzieren. Künftig soll möglichst eine Mehrwertsteuerregistrierung für den gesamten EU-Markt ausreichen. 

Viele Meinungen, viele Möglichkeiten – ein reger Austausch ist an der Tagesordnung

Bereits im Mai konnte sich jeder zu der Initiative im Rahmen einer öffentlichen Konsultation der EU-Kommission schriftlich äußern. Zuletzt hat insbesondere auch die Diskussion zur Single VAT Registration an Fahrt gewonnen. So stimmen sich derzeit Vertreter der EU-Kommission in Expertengruppen mit verschiedenen Stakeholdern ab und nehmen an Konferenzen teil, um Praxisfälle zu sammeln und sich ein aktuelles Meinungsbild zu verschaffen – etwa vergangene Woche beim Single EU VAT registration roundtable in Brüssel oder auf der International VAT Conference von KMLZ am Tegernsee. 

Wie bereits bei der öffentlichen Konsultation ist auch Taxdoo bei solchen Veranstaltungen vertreten, um auf die bestehenden Herausforderungen für Onlinehändler und ihre Steuerberater aufmerksam zu machen. Denn die Welt der Umsatzsteuer ist komplex und eine Anpassung der Rechtsvorschriften kann weitreichende Folgen mit sich bringen. Ein Erfahrungsaustausch zu praktischen Herausforderungen und üblichen Geschäftsmodellen ist daher unabdingbar. 

Werden Marktplätze noch weiter in die Pflicht genommen? 

Eine plausible Lösung, um die Registrierungspflichten zu reduzieren, wäre die Ausweitung des OSS-Verfahrens um Transaktionen, die dort bislang nicht erfasst werden: beispielsweise innergemeinschaftliche Verbringungen (igV), innergemeinschaftliche Erwerbe (igE) oder lokale Umsätze aus Warenlagern, für die weiterhin eine lokale Registrierung in den EU-Ländern notwendig ist. Allerdings dürften einige Mitgliedstaaten einer Ausweitung des OSS skeptisch gegenüberstehen, da sie den höheren Aufwand für die erweiterte Nutzung scheuen. So haben die vergangenen Monate doch eindrücklich gezeigt, dass einige Länder mit dem OSS bereits in seiner jetzigen Form offenbar mehr Arbeit haben als ihnen lieb ist.

Zuletzt verstärkten sich Signale, die in eine andere mögliche Richtung deuten: Im Fokus der Überlegungen steht die Ausweitung der Meldepflichten von Marktplätzen. So könnte die bestehende Lieferkettenfiktion bei Verkäufen an Privatkunden im Zusammenhang mit Drittlandstransaktionen künftig auf igV ausgeweitet werden. Die Marktplätze würden die Meldepflicht übernehmen, eine Registrierung der Onlinehändler wäre nicht mehr erforderlich. 

In diese Richtung äußerte sich zuletzt auch Patrice Pillet, Referatsleiter Mehrwertsteuer bei der Generaldirektion TAXUD der EU-Kommission. In seinen Ausführungen auf der International VAT Conference ließ er durchblicken, dass diese Option derzeit auch diskutiert wird. Und auch das Protokoll der Gruppe über die Zukunft der Mehrwertsteuer – eine Expertengruppe aus Vertretern von nationalen Behörden der EU – bestätigt, dass zumindest einige Vertreter dieser Option offen gegenüberstehen.

Diese Alternative würde allerdings die Marktplätze vor große Herausforderungen stellen und für Onlinehändler dürfte das bedeuten, dass sie ihre Einkaufspreise vollständig gegenüber den Marktplätzen offenlegen müssten. Denn eine Deklaration von igV erfolgt zum Einkaufspreis bzw. zu den Selbstkosten. Zudem wäre eine weitere Fragmentierung der Meldeverfahren die Folge: So müssten Onlinehändler, die Fulfillmentstrukturen unabhängig von Marktplätzen nutzen, ihre igV weiterhin über lokale Registrierungen melden.

Noch ist alles offen

Die Ausweitung der Lieferkettenfiktion ist dabei nur eine (derzeit aber viel diskutierte) Möglichkeit, dem Ziel einer Single VAT Registration näherzukommen. 

Die weitere Diskussion bleibt spannend. In den kommenden Tagen und Wochen dürften weitere Konsultationen zu dem Thema folgen. Beispielsweise findet am 10. Juni 2022 eine Sitzung der EU-Kommission mit der MwSt-Expertengruppe statt, zu der insbesondere auch Vertreter von Unternehmen und Verbänden zählen. 

Der Austausch ist dringend notwendig, denn die EU-Kommission hält weiter an ihrem Plan fest, für das dritte Quartal 2022 einen Vorschlag zur Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorzulegen. Spätestens dann wird sich zeigen, ob Onlinehändler und ihre Steuerberater tatsächlich mit spürbaren Erleichterungen bei der Mehrwertsteuerregistrierung rechnen können.

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