Wie künstliche Intelligenz die Zollabwicklung vereinfacht

Die manuelle Abwicklung von Zollformalitäten verursacht enormen Aufwand und ist fehleranfällig. Vor allem die Zolltarifierung stellt viele Händler vor Probleme. Der Einsatz künstlicher Intelligenz kann helfen, Hürden bei der Tarifierung aus dem Weg zu räumen – und finanzielle Verluste zu vermeiden.
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Wie künstliche Intelligenz die Zollabwicklung vereinfacht

Die Welthandelsorganisation (WTO) prognostiziert, dass der weltweite E-Commerce bis 2026 einen Umsatz von 8 Billionen US-Dollar erreichen wird. Das entspricht einem Anteil von 24% am weltweiten Handelsumsatz. Diese Entwicklung wird durch zahlreiche neue Ansätze im internationalen Handel vorangetrieben, wie z.B. die Nutzung papierloser Prozesse, Technologien zur Verbesserung der Datenqualität sowie der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), maschinellem Lernen (ML) oder Blockchain.

Gerade im Hinblick auf die wachsenden Handelsströme ist es auch für den Onlinehandel von großer Bedeutung, dass zollrelevante Daten, die zwischen den Teilnehmern der Supply Chain und den Behörden ausgetauscht werden, in hoher Qualität und direkt verfügbar sind. Dies gilt vor allem für das komplexe Thema der Zolltarifierung.

Anteil E-Commerce am globalen Handel 2015 bis 2026 

Quelle: WTO

Der Zolltarif: Herausforderungen für internationale Onlinehändler

Wir haben die praktischen Hürden zusammengefasst, die sich häufig bei der Zolltarifierung ergeben: 

  • Veraltete Formulierungen in den Definitionen des Zolltarifs können zu Problemen führen. Vor allem dann, wenn im Unternehmen wenig Wissen vorhanden ist, was die Definition in der Praxis bedeutet. Beispiel: Laptop => tragbare automatische Datenverarbeitungsmaschinen mit einem Gewicht von 10 Kilogramm oder weniger etc. 
  • Unzählige Querverweise innerhalb des Zolltarifs: Jede Definition enthält Ausnahmen und Ausnahmen von den Ausnahmen. Hinweise wie Ausweisungsanmerkungen oder Positionswortlaut machen es dem Laien besonders schwer, die richtige Zolltarifnummer zu ermitteln.
  • Unterschiedliche Interpretationen sollten nicht vorkommen. Aber die Praxis zeigt, dass in einigen Fällen Einreihungen in verschiedenen Ländern oder Regionen unterschiedlich ausfallen; z.T. sogar zwischen den Zollbehörden in der EU.
  • Die Rechtsentwicklung der Zolltarifnomenklatur hält häufig nicht Schritt mit der schnellen Produktentwicklung und Einführung neuer Produkte. Ein Beispiel: Die Bezeichnung Smartphone wurde erst im Jahr 2022 in den Zolltarif aufgenommen.
  • Die Gesamtheit der Rechtsquellen ist unübersichtlich und teilweise in verschiedenen Sprachen nicht einsehbar. Verbindliche Zolltarifauskünfte sind in der Regel nur in der Landessprache des Antragstellers verfügbar.
  • Die große Menge an Datensätzen, die unter Zeitdruck korrekt eingereiht werden müssen, überfordert viele Unternehmen. Daher werden Produkte häufig wie ein „ähnliches” Produkt, als „Teile von..” oder „Andere” tarifiert. Häufig ist die Einreihung dann falsch.
  • Fehlende Produktinformationen und/oder schlechte Warenbeschreibungen machen die Warenidentifikation sehr aufwendig, manchmal sogar unmöglich.
    Das ist häufig ein Problem, wenn man mit Dienstleistern arbeitet, die die Produkte des Unternehmens nicht kennen; oft wird dann nach „bestem Wissen und Gewissen” tarifiert.

Wie kann künstliche Intelligenz helfen?

1. Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Deep Learning? Was ist was?

Diese Begriffe hört und liest man in verschiedenen Zusammenhängen. Doch wie unterscheiden sich die Ansätze? Und wo gibt es Überschneidungen? Wir erklären es Euch. 

Künstliche Intelligenz (KI)
ist ein übergeordneter Begriff, der sich auf die Fähigkeit von Maschinen bezieht, bei einer Vielzahl von Aufgaben menschenähnliche Intelligenz zu zeigen. Dabei kann es sich bereits um einen PC handeln.

Maschinelles Lernen (ML) 
ist eine spezielle Methode der KI, die es Maschinen ermöglicht, ohne explizite Programmierung automatisch aus Erfahrungen und Daten zu lernen. Es gibt verschiedene Arten von ML: So unterscheidet man z.B. zwischen überwachtem und unüberwachtem Lernen.

Deep Learning (DL) 
ist ein Teilgebiet des ML. Es basiert auf der Verwendung von neuronalen Netzen, um komplexe Muster in Daten zu erkennen. Im Gegensatz zum ML wird der KI nicht vorgegeben, auf welche Datenpunkte sie sich konzentrieren soll, d.h. welche Merkmale von Interesse sind. Aus sehr großen Datensätzen soll die Maschine lernen, auf welche Merkmale sie sich am besten konzentrieren kann.

Verglichen mit herkömmlichen ML-Methoden kann DL bei der Verarbeitung großer und komplexer Datensätze bessere Ergebnisse erzielen. Mit jeder Stufe nimmt der explizite Input durch den Programmierer ab und die Bedeutung der Daten, mit denen die Maschine lernt, zu. Der Lernprozess wird unabhängig von der Person, die die KI trainiert und programmiert.

2. Bisherige Lösungsansätze zur zollrechtlichen Einreihung von Produkten 

Die bestehenden Lösungsansätze basieren auf gut gepflegten Stammdaten. Alle Eigenschaften eines Produktes werden individuell aufbereitet und gespeichert. Auf Basis dieser Daten wird häufig einer von zwei Ansätzen verfolgt:

1. Fuzzy Match Lösung 
Das „Matching” ist ein Verfahren, bei dem die Eigenschaften eines Produkts mit den Eigenschaften aller vorhandenen und tarifierten Produkte verglichen werden. Produkte, die eine hohe Ähnlichkeit aufweisen, werden dem Tarifierungsexperten präsentiert oder automatisch tarifiert. Diese Methode ist vor allem dann sinnvoll, wenn ein Unternehmen über einen gut gepflegten Warenstamm verfügt. Unternehmen, die sich auf bestimmte Warengruppen spezialisiert haben und viele ähnliche Produkte anbieten, können so die Tarifierung beschleunigen.  

Allerdings stößt diese Methode auch an Grenzen. Arbeitet ein Unternehmen z.B. mit fremden Produktinformationen, etwa beim Import von Produkten, ist das Matching-Verfahren nur schwer anwendbar. Auch bei der Tarifierung neuer oder unterschiedlicher Produkte ist ein Matching-System selten hilfreich. Hier besteht die Gefahr einer Übertragung fehlerhafter Tarifierungen von Bestandsdaten auf neue Produkte.

2. Entscheidungsbaum Logik 
Regelbasierte Systeme sollen die komplexe Logik eines Tarifsystems in automatisierte Entscheidungen übersetzen. Die Entscheidungen können von Menschen oder auf Basis vorhandener Produktdaten getroffen werden, um eine passende Tarifnummer zu ermitteln. Allerdings ist die Extraktion dieser Entscheidungen sehr aufwendig und erfordert eine sorgfältige Analyse der Produktgruppen. 

Regelbasierte Systeme sind anfällig für Probleme. Die Systeme basieren auf vielen Annahmen – und können schnell unter der Komplexität des Problems scheitern. Beispielsweise kann eine Einschränkung auf wenige Teilkapitel nötig sein, um die Logik des Tarifsystems zu vereinfachen. Dies kann jedoch zu Problemen führen, etwa wenn relevante Tarifnummern fehlen. Darüber hinaus ist der Pflege-, Anpassungs- und Arbeitsaufwand besonders hoch und stellt bei komplexen Tarifsystemen eine große Herausforderung dar.

3. Neueste Technologie: Deep Learning – Vorteile bei der Tarifierung 

Im Vergleich zu Fuzzy Matching und Entscheidungsbaum-Lösungen bietet die DL-Technologie eine vollständige und uneingeschränkte Möglichkeit zur automatischen Tarifierung von Produkten. Die Verwendung proprietärer KI-Modelle und hochqualitativer Datenquellen trainiert die KI auf eine Weise, dass sie eigenständig eine Funktion aus der Warenbeschreibung sowie weiteren Eingangsparametern zur Tarifnummer erlernt. Dabei wird die KI durch ein riesiges neuronales Netzwerk modelliert, das während des Trainingsprozesses das Wissen aus historischen Entscheidungen aus proprietären Datenquellen in das neuronale Netz destilliert.  

Im Gegensatz zum Auswendiglernen von Daten lernt die KI, die dahinterliegenden Konzepte und Regeln zu generalisieren und die Zusammenhänge zu verstehen. Dadurch erreicht die KI eine höhere Genauigkeit bei der Produkttarifierung. Allerdings erfordert die Implementierung einer DL-Technologie eine umfangreiche Vorbereitung und Schulung des Systems. 

4. Rolle der KI, Rolle des Menschen

Die Zusammenarbeit von KI-Software und menschlicher Intelligenz führt in der Regel zu höherer Produktivität und geringeren Fehlerquoten. Die KI kann Fehler erkennen, die dem Menschen entgehen. Umgekehrt verfügt der Mensch über Wissen, das der KI fehlt. Dieses „Vier-Augen-Prinzip” – oder „Human in the Loop” – ist vor allem wichtig bei uneindeutigen oder schwierigen Tarifierungsfällen, etwa wenn Informationen fehlen oder die Entscheidungen komplex sind.

Darüber hinaus können Händler eine Teilautomatisierung anstreben – vor allem bei einfachen oder repetitiven Fällen. In diesen Fällen kann der Anwender die Ergebnisse einsehen, Prozesse überwachen und Tarifierungsaufgaben bearbeiten. Gleichzeitig erhält der Anwender alle wesentlichen Funktionen und Tools, die er von einem Tarifierungsexperten erwartet, wie z.B. der aktuelle Tarifbaum, Anmerkungen, Erläuterungen, Gerichtsentscheidungen und verbindliche Zolltarifauskünfte. Trotz KI-System behält der Anwender die volle Kontrolle über den Tarifierungsprozess.

Lieber früher als später: Wie könnt ihr Kosten und Ärger sparen? 

Eine korrekte zolltarifliche Einreihung ist von großer Bedeutung. Fehler in diesem Bereich können weitreichende Folgen haben: Compliance- und finanzielle Risiken wie der Verlust zollrechtlicher Bewilligungen und Vereinfachungen, verstärkte Kontrollen und Zollprüfungen, Nacherhebungen oder zu viel gezahlte Abgaben sind nur einige der möglichen Folgen. 

Um solche Risiken zu vermeiden, sollten Händler bereits im Einkaufsprozess die zolltariflichen Auswirkungen berücksichtigen und sicherstellen, dass sie die korrekten Zolltarifnummern verwenden. Ganz wichtig: Die Verantwortung für die gemachten zollrelevanten Informationen liegt beim Unternehmen – nicht beim Zolldienstleister! Eine sorgfältige Prüfung aller zollrelevanten Angaben ist daher immer ratsam. Fehler, die Zollprüfer hinterher aufdecken, können teure Folgen haben.

Über die Autorin
Lilla Zsitnyánszky ist Head of Customs bei traide. Das Berliner Unternehmen nutzt KI Technologie und kombiniert diese mit der Unterstützung langjährigen Zollexperten, um die Sicherheit und Effektivität der Zolltarifierung zu verbessern. Weitere Informationen rund um das Thema Technologie-getriebene Zolltarifierung findet Ihr im traide Blog.

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