Finanzamt stoppt App, weil “zu unkompliziert”: Brauchen wir Mindeststandards für TaxTech?

Generative KI findet im Bereich TaxTech Einzug. Es mehren sich jedoch auch die Fälle von Steuerverkürzungen – induziert durch KI – in Europa. Brauchen wir Mindeststandards?
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 4 min. Lesezeit
Finanzamt stoppt App, weil “zu unkompliziert”: Brauchen wir Mindeststandards für TaxTech?

… keine Sorge! Dem aufmerksamen Leser dürfte nicht entgangen sein, dass es sich bei dem ersten Teil dieser Headline aus DER STANDARD vom 25.03.2023 um die Finanzverwaltung in Österreich und nicht in Deutschland handelt.

Dennoch sollten wir nicht vergessen, dass wir erst kürzlich in Deutschland einen ähnlichen gelagerten Fall hatten, bei dem noch immer der Vorwurf der Steuerverkürzung mittels App und generativer Künstlicher Intelligenz (KI) im Raum steht.

Beiden Fällen ist dabei ein Problem gemein.

Wenn Tax-Technology (TaxTech) aus wirtschaftlichen oder anderen Zwängen die Interaktion mit den Nutzern (Endverbraucher oder Unternehmer) bei der Aufklärung der Sachverhalte vereinfacht und abkürzt, kommt es zwangsweise zur Steuerverkürzung. Das stellt ein Dilemma dar, weil jede zu komplizierte Interaktion mit dem Nutzer in einem hoch kompetitiven Markt – wie z.B. dem Markt für Einkommensteuer-Apps – zum Ende der Nutzung der Software führen kann.

Ein weiterer Eckpfeiler dieses Dilemmas ist, dass es für den Nutzer in der Regel nicht erkennbar ist, ob es sich die Technologie (mit oder ohne generativer KI) am Ende zu einfach macht. Dafür ist das Steuerrecht selbst für Experten oft zu komplex. Es stellt sich somit immer drängender eine Frage: Brauchen wir (Mindest)Standards?

Wer wissen will, wie die Geschichte in Österreich weitergegangen ist, dem seien diese beiden Artikel empfohlen.

  • Finanzamt stoppt App, weil zu oberflächlich (Mai 2023)
  • Kammer verklagt Einkommensteuer-App (April 2024)

In Deutschland ist die Diskussion noch nicht so weit wie bei unseren Nachbarn in Österreich. Darüber und mehr habe ich kürzlich öffentlich diskutiert.


Regulierung bzw. Mindeststandards für TaxTech? Eine Diskussion mit Jens Henke (Vize-Präsident des StB-Verbandes Berlin-Brandenburg)

Dieser Frage bin ich kürzlich mit Jens Henke – Steuerberater und Vize-Präsident des Steuerberaterverbandes Berlin-Brandenburg – nachgegangen. Das Gespräch entstand in der Reihe: Auf einen Schnack mit … Ihr findet es hier.

Dabei werdet Ihr feststellen, dass die Herausforderung bei dieser Problematik bereits mit der Frage beginnt: Was und wer ist überhaupt TaxTech?

Nimmt man das Beispiel E-Commerce, dann kann man grundlegende Prozesse im Rahmen der Steuerfindung bereits in den Vorsystemen – allen voran den ERP-Systemen (JTL, Plentymarkets, Xentral, …) identifizieren.

Insofern war der Austausch mit Jens Henke nur ein allererster Anfang. Im Kern geht es aber bei dem sensibelsten Thema überhaupt – Steuern – um ein Grundbedürfnis: Transparenz für den Steuerpflichtigen.

Verantwortung und Haftung generativer KI am 13.06.2024 in Hamburg

Dennoch ist es wichtig, dass wir diese Frage nicht aus dem Blick verlieren. Auch nicht die Frage, die sich im Anschluss stellt: Wer hält am Ende des Tages den Kopf dafür hin, wenn es am Ende zur Steuerhinterziehung gekommen ist? Wer haftet?

Dieser Frage gehe ich gerade zusammen mit einem der angesehensten Steuerstrafrechtler nach: Dr. Markus Wollweber.

Markus Wolleber wird daher dieses Thema auch auf dem Taxdoo Innovation Summit mit den Teilnehmern diskutieren und ein Paper vorstellen, das wir beide gerade veröffentlichen. Ihr findet hier die Agenda des Summits und hier die Möglichkeit zur kostenlosen und verbindlichen Anmeldung.

Taxdoo Innovation Summit am 13.06.2024 in Hamburg

Regulierung bedeutet nicht zwangsläufig mehr Bürokratie

Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass Ihr in einem TaxTech-Blog genau diese Fragestellung findet. In meiner Brust schlagen jedoch immer zwei Herzen: das des Steuerrechtlers und das des Volkswirts. Als Bonner Ökonom kommt am Ordoliberalismus nicht vorbei. Dieser hebt die Vorteile freier Märkte hervor, ist jedoch nicht mit dem Libertarismus zu verwechseln, in dem es faktisch im Kern nur um das Überleben des Stärkeren geht.

Wer verspricht, dass man die eigene Einkommensteuererklärung in 10 Minuten fertigstellen kann, der muss auch den Kopf dafür hinhalten, wenn er die dahinter stehende Komplexität (= Steuerrecht) zu eben diesem Werbeversprechen abkürzt.

Daher kann Regulierung an dieser Stelle für Transparenz sorgen, die wiederum zu einem fairen Wettbewerb führt.

Freie Märkte brauchen Leitplanken und grundlegende Spielregeln, die staatlich und damit demokratisch zu finden und definieren sind. Das ist der Kern des Ordoliberalismus und selbst im vermeintlichen Mutterland der Kapitalismus gehen die Helden ihrer Zeit in den Bau, wenn sie sich nicht an diese Regeln halten.

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Gordon_Gekko.jpg:

… wie z.B. Gordon Gekko aus Wallstreet, der am Ende des Films ins Gefängnis muss, weil er eines der Grundprinzipien freier Märkte verletzt: Intransparenz bzw. hier Insiderhandel bringen jeden Markt zum Wanken.

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