ChatGPT-4: Die neue Subsumtionsmaschine, die den Steuerberater ersetzt?!

OpenAI hat am 14. März 2023 die neue Version von ChatGPT vorgestellt. Es waren auch spannende Änderungen für den Steuerbereich dabei. Die große Frage, die sich stellt: Kann ChatGPT-4 den Steuerberater ersetzen? Das klären wir in diesem Blogbeitrag.
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 6 min. Lesezeit
ChatGPT-4: Die neue Subsumtionsmaschine, die den Steuerberater ersetzt?!


Was ist ChatGPT und was kann die neue Version GPT-4?

Hinweis vorab: Aktuell läuft ein Pilotprojekt, in dem wir eine KI/ChatGPT mit dem gesamten Taxdoo-Wissen gefüttert haben. Hier gibt es die ersten Ergebnisse.

ChatGPT ist ein von OpenAI entwickeltes Sprachmodell, das auf dem Generative Pre-trained Transformer (GPT) Ansatz, also maschinellem Lernen, basiert. Konkret könnt Ihr über ein textbasiertes Dialogsystem als Benutzerschnittstelle Texte eingeben, auf die ChatGPT – vereinfacht gesagt – selbstständig Antworten generiert.

Am 14. März 2023 stellte OpenAI die vierte Generation von ChatGPT vor, die gegenwärtig leider nur Premiumnutzer und Entwickler nutzen können. Wir zeigen Euch trotzdem, was das KI-Modell künftig alles leisten kann.  

GPT-4 ist in der Lage, Text zu generieren und sowohl Bild- als auch Texteingaben zu akzeptieren – eine Verbesserung gegenüber GPT-3.5; der Vorgänger akzeptierte nur Texteingaben. Konkret kann der Nutzer nun Bilder hochladen, die die KI erkennt, den Inhalt des Bildes beschreibt und nützliche Hinweise zu dem Bild liefert. Außerdem sei ChatGPT nun in der Lage, achtmal mehr Text zu produzieren als sein populärer Vorgänger, verspricht OpenAI. 

Wird ChatGPT unser neuer digitaler Assistent im Steuerbereich?

Es gibt kaum ein Thema, zu dem ich in den vergangenen Wochen mehr LinkedIn Posts gelesen habe: ChatGPT! Die KI von OpenAI ist in aller Munde. Häufig diskutierte Fragen sind: Welche Jobs sind durch die KI gefährdet? Wie kann man ChatGPT im beruflichen Alltag einsetzen? Wo liegen mögliche Risiken beim Einsatz der KI? 

Auch die Diskussion zum Einsatz von ChatGPT im steuerlichen Bereich hat sich dynamisch entwickelt. Stefan Groß und Thomas Hoppe von den Tax Punks haben bereits vor einigen Wochen einen umfangreichen Leitfaden zum Einsatz von ChatGPT im Steuerbereich geschrieben. 

In diesem Leitfaden werden vor allem folgende Anwendungsszenarien für den täglichen Einsatz von ChatGPT beschrieben: 

  • Anfertigen von Kurzinformationen
  • Erstellung von Fachinformationen
  • Anfertigen von Exzerpten
  • Erstellung von Schulungsmaterialien
  • Vorbereitung von Vorträgen

Das sind auch aus meiner Sicht die Fälle, in denen man ChatGPT als digitalen Assistenten in der täglichen Arbeit effizient einsetzen kann. Gerade in Zeiten von Home Office, wenn ein Austausch mit Kollegen an der Kaffeemaschine nicht immer möglich ist, kann ChatGPT zum digitalen Sparringspartner werden.

Allerdings gilt auch hier: Bei steuerlichen Themen müssen alle Ergebnisse von ChatGPT immer auf Korrektheit geprüft werden. Dies kann nach wie vor nur durch uns – die Anwender – erfolgen. 

Die Frage, die alle Gemüter erhitzt: Wird die KI dazu führen, dass viele Berufe überflüssig werden? Mit Blick auf den steuerlichen Bereich und das Berufsbild des Steuerberaters stellt sich die Frage, ob ChatGPT den Steuerberater ersetzen kann. 

Dazu müsste die KI in der Lage sein, komplexe steuerliche Rechtsfragen unter bestehende Gesetzestexte zu subsumieren, d.h. verschiedene abstrakte Rechtsnormen auf einen konkreten Sachverhalt anzuwenden.

Also: Kann ChatGPT-4 subsumieren? 

Der nächste Schritt bei ChatGPT: Das Todesurteil für den Berufsstand!?

So viel vorweg: Die Präsentation der neuen Version von Chat GPT hat mich nicht schlecht staunen lassen. Warum? Weil am Ende der Demo sogar neue Funktionalitäten für den Steuerbereich gezeigt werden. 

Konkret wird die Eingabemaske des KI-Programms mit Gesetzestext aus dem US-amerikanischen Steuerrecht sowie einem Lebenssachverhalt und einer konkreten Frage zum Sachverhalt gefüttert. Wenige Sekunden später spuckt ChatGPT-4 die Antwort auf die Frage zum Sachverhalt aus. Die KI liefert das richtige steuerliche Ergebnis nebst Berechnung innerhalb weniger Sekunden. 

Besonders beeindruckend ist, dass unser digitaler Freund auch die Fundstellen aus dem Gesetzestext zitiert und herleitet, wie die Berechnung zustande gekommen ist. Es scheint also, als hätte ChatGPT-4 die Gesetzesgrundlagen auf den konkreten Fall angewendet: Die KI von Open AI kann also subsumieren. 

Doch bedeutet dies das Ende für den Berufsstand des Steuerberaters? Aus meiner Sicht: Nein! 

Keine Frage, die rasante Entwicklung von ChatGPT und anderer KI-Modelle ist beeindruckend. Und es gibt breite und gute Anwendungsfelder, auch für den steuerlichen Bereich. 

Wenn man aber die Subsumtion der KI überlässt, sollte man Folgendes beachten: 

Prüfung durch den Anwender und ausreichend Fachkenntnisse notwendig 

Die Weiterentwicklung der KI von OpenAI bietet vielfältige Möglichkeiten, keine Frage. Aber insbesondere wenn wir die KI in die steuerliche Würdigung von Sachverhalten einbeziehen, ist Vorsicht geboten! Vor allem als Steuerberater habe ich eine besondere Sorgfaltspflicht und sollte diese natürlich auch beim Einsatz von ChatGPT walten lassen. 

Das bedeutet: Wenn ChatGPT zur steuerlichen Würdigung eingesetzt wird, sollten alle Ergebnisse sorgfältig geprüft werden. Die prüfende Person braucht insbesondere ausreichend Fachkenntnisse, um die Güte des Ergebnisses prüfen zu können. Sonst besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse der KI nicht entsprechend eingesetzt werden können. 

Allerdings kommt es nicht nur auf die Prüfung der Ergebnisse an. Bei dem Beispiel, das in der Präsentation der neuen Version gezeigt wurde, wurde auch der entsprechende Gesetzestext in die Eingabemaske kopiert. Hierfür muss der Anwender wissen, welcher Gesetzestext für die Frage relevant ist. Es ist davon auszugehen, dass die steuerliche Würdigung ohne Eingabe der Gesetzesgrundlage nicht so gut funktioniert.

Training des Modells nicht transparent

Bei allen KI-Modellen ist ein Punkt extrem wichtig: Das Training! Es ist davon auszugehen, dass das hinter ChatGPT liegende Modell durch all unsere Anfragen weiterentwickelt und trainiert wird. 

Hierbei ist für uns als Nutzer nicht transparent, welche Anfragen welche Rollen spielen und wie das Modell hierdurch trainiert wird. Grundsätzlich kann das bedeuten, dass das Modell auch „falsche” Informationen in das Training einbezieht. Auch das spricht dafür, dass im Umgang mit den Ergebnissen Vorsicht geboten ist. 

Fazit

Die Weiterentwicklung von ChatGPT passiert in großen Sprüngen. Es gibt mit Sicherheit viele tolle Anwendungsbereiche, auch im steuerlichen Bereich. Für mich ist es wesentlich, dass wir die KI nun auch richtig einsetzen. Dies bedeutet auch, dass Schulungen notwendig sind und sich Experten im Steuerbereich entwickeln, die wissen, wie KI-Technologie effizient, sicher und zielführend eingesetzt werden kann. Dies muss auf allen Seiten passieren: Berufsstand, Unternehmen, Finanzverwaltung. Ich freue mich darauf!

Bei einem Punkt sind sich die Experten einig: KI wird sehr wahrscheinlich Wissensberufe nicht vernichten – sondern nur solche, die keine KI verwenden. Auch Vertreter von OpenAI betonen, dass KI-Modelle nicht perfekt sind, genauso wie Menschen. Das Miteinander von Mensch und KI macht den Unterschied und ist daher als Fortschritt zu sehen.

8 Kommentare

    Wenn man die Fortschritte in den vergangenen Monaten betrachtet, ist das mehr als beeindruckend. Ich denke, dass wir in absehbarer Zeit diese Technologie auch in den ersten TaxTech-Produkten sehen werden, die dazu führen, dass in der Breite (!) die Qualität der Antworten zunehmen wird.

    Ich denke, wir sollten unbedingt unsere Haltung zum technischen Fortschritt überdenken.

    Insbesondere in Deutschland wird gern zu allererst über mögliche Gefahren neuer Technologien diskutiert – sei es Datenschutz, Arbeitsplatzverluste oder die potentielle Machtkonzentration bei Tech-Giganten.

    Fakt ist, dass wir es in Deutschland zukünftig immer schwerer haben werden, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen.

    Wenn ChatGPT uns Steuerberater in gewissem Umfang überflüssig macht, sehe ich das eher mit Erleichterung als mit Sorge.

    Hallo Herr Prause, vielen Dank für Ihren Kommentar! Meines Erachtens werden Entwicklungen wie ChatGPT den Steuerberater nicht überflüssig machen. Aber die Technologie kann unser Leben deutlich vereinfachen und zu einem sehr nützlichen Tool werden – u.a. kann uns der technische Fortschritt dabei helfen, die Folgen des Fachkräftemangels abzumildern.

    Vielen Dank für diese Sichtweise, Daniel! Ich würde vermuten, dass die meisten aktuell eher die vermeintlichen Risiken, wie z.B. eine Umsatzerodierung sehen. Ich bin aber vollkommen bei Dir: Wenn KI – mit einer hinreichenden Sicherheit, die noch zu diskutieren wäre – in der Breite bessere Antworten geben kann, als ein Mensch, sollten wir die Chancen daraus sehen und nutzen. Unmotiviertes Vorlesen von Gesetzen oder Anwendungserlassen ist keine Wertschöpfung; das können Maschinen besser. Echte Beratung wird daher – hoffentlich – in naher Zukunft woanders ansetzen.

    Ein gut trainierter ChatGPT mit Zugriff auf entsprechende Informationen kann grundsätzlich auf alle möglichen Varianten in Echtzeit zugreifen, „wie gute Maschine sie wird nichts vergessen und die neuesten Änderungen in der Steuergesetzgebung melden“. Ehrlich gesagt ist es unrealistisch zu glauben, dass man alle Varianten der Steuergesetzgebung im Kopf haben und ständig über alle Änderungen auf dem Laufenden sein kann, eine gewaltige Aufgabe, die ChatGPT mit relativer Leichtigkeit bewältigen kann. Jeder, der den Dokumentarfilm Go gesehen hat, weiß, wovon ich spreche. In Korea lachten sie in den Medien, dass künstliche Intelligenz den Weltmeister des Spiels Go niemals schlagen könne. Von 6 Spielen gewann die Maschine 5 in Folge ohne zu blinken und demütigte den Weltmeister Spiel für Spiel. Wer glaubt, dass ein auf künstlicher Intelligenz basierendes System, das speziell darauf trainiert ist, die am besten geeigneten Informationen zu Steuerfragen bereitzustellen, es nicht effektiver macht als ein Mensch oder einer von zwei, verschließt die Augen vor der Realität oder lebt in einer Parallelrealität. ChatGPT macht im dritten Monat spektakuläre Fortschritte. Es ist eine Frage der Zeit, bis eine Software ähnlich oder auf Basis von ChatGPT auf den Markt kommt, um Kunden Steuerberatung mit der perfekten Antwort für einen Abonnementpreis zu bieten und Steuererklärungen zu automatisieren.

    Moin Joshua, ich bin bei Dir. Ein Großteil der Steuerberatung besteht aktuell darin, dass bestimmten Sachverhalten eine Rechtsfolge zugeordnet wird. Eine Maschine wie ChatGPT wird in Kürze und in der Breite qualitativ deutliche bessere Resultate liefern als das Menschen könnten. Inwieweit das auch für die Gestaltungsberatung jetzt schon gilt, sei dahingestellt. Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit. Ich finde das ungeheuer spannend und es sollte auch im Sinne des Gesetzgebers sein, das jeder ohne Hürden Zugang zum “Rechtsverständnis” bekommt. Liebe Grüße, Roger

    Lieber Roger,
    ich hatte zwar noch keine Möglichkeit, ChatGPT in der neuesten Version zu testen, aber auch die kostenlose Version, die einem registrierten Anwender zur Verfügung steht, liefert nach einigen gezielten Prompts erstaunlich gute Ergebnisse auch im Steuerbereich. Auch wenn der öffentlich zugängliche ChatGPT auf einem Datenstand Ende 2021 basiert, antwortet er auch auf Fragen, die z.B. neuere BFH- oder EuGH-Rechtsprechung betreffen. Je konkreter man nachhakt, desto besser werden die Antworten – und das in erstaunlich kurzer Zeit. Gute Ergebnisse erzielt man auch, wenn man ChatGPT bei BING nutzt und sich dort z.B. einen Blogbeitrag generieren lässt. Beste Grüße aus dem Rheinland – Otto

    Lieber Otto, vielen Dank für Deine Einblicke! Ja, die Ergebnisse sind erstaunlich und wie Du sagst: Mit jeder Iteration nähert man sich einem Ergebnis, das man vor Kurzem nicht von einer Maschine erwartet hätte. Ich sehe aktuell die folgenden Herausforderungen. Das Ganze steht und fällt mit den Prompts. Du bist Steuerexperte und kennst das Ergebnis, sodass Du ChatGPT in diese Richtung führen kannst. Das ist aber grundsätzlich nicht der Sinn dahinter, oder? Dann haben wir natürlich das Problem des Datenschutzes und die Frage: Was sind eigentlich die Quellen? Woher bezieht ChatGPT das Wissen? Worauf basieren die Resultate? Viele Grüße aus Hamburg ins Rheinland!

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