„Die unterschiedlichen Reporting-Pflichten sind eine permanente Herausforderung”

Sven Sistig ist seit rund einem Jahr Head of Tax beim Onlinemodehändler About You. Davor war er in einigen namhaften Steuerberatungsgesellschaften tätig, darunter Deloitte und Flick Gocke Schaumburg. In unserer Reihe „Taxdoo Talks” spricht er über die umsatzsteuerlichen Aufgaben eines international tätigen Unternehmens und die EU-Initiative VAT in the Digital Age (VIDA).
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 6 min. Lesezeit
„Die unterschiedlichen Reporting-Pflichten sind eine permanente Herausforderung”

Sven, inwiefern unterscheidet sich Deine jetzige Tätigkeit in einer Inhouse-Steuerabteilung von Deiner Zeit in der Steuerberatung?

In der Steuerberatung ging es mit der Ausarbeitung von Stellungnahmen vor allem darum, Handlungsempfehlungen auszusprechen und den Mandanten zu beraten. Jetzt arbeite ich auf der Seite des Mandanten – und muss eben jene Handlungsempfehlungen verstehen und auslegen. Der Fokus meiner Arbeit liegt nun darauf, Prozesse und Entscheidungen so zu formulieren, dass wir im Sinne des Gesetzes und der Verwaltung handeln, also compliant sind. Dafür müssen wir neue steuerliche Erkenntnisse permanent in unsere laufenden Prozesse integrieren. Dazu gesellt sich in meiner täglichen Arbeit ein nicht unwesentlicher Teil nicht-fachlicher Tätigkeiten sowie die Steuerung neuer Projekte.

Wie beeinflusst die aktuelle wirtschaftliche Situation mit hoher Inflation und Lieferengpässen die Arbeit der Steuerabteilung?

Unmittelbar ist unsere Tätigkeit vom gesamtwirtschaftlichen Umfeld nicht betroffen, da unsere Prozesse und die damit verbundene Arbeit unabhängig von Umsatzzahlen anfallen. Im Gegenteil: Im Jahr 2022 haben wir unter anderem weitere Zielländer „live” geschaltet, einen Online-Shop für digitale Kleidung gelauncht sowie unser B2B-Segment weiter ausgebaut. Dabei ist garantiert niemandem in der Steuerabteilung langweilig geworden! Dennoch hoffen auch wir natürlich auf eine Entspannung der wirtschaftlichen Situation, was sich sicherlich nicht negativ auf unser Tagesgeschäft auswirken würde.

Welche umsatzsteuerlichen Herausforderungen beschäftigen Dich aktuell besonders intensiv?

Mit Blick auf unser Handelsgeschäft sind für uns natürlich Warenlieferungen und die damit zusammenhängenden Implikationen von hoher Bedeutung. Besonders im Fokus stehen die korrekte Abbildung innergemeinschaftlicher Reihengeschäfte und Retourenprozesse. Hier vertreten unterschiedliche Länder in der EU unterschiedliche Auffassungen. Eine besondere Herausforderung besteht darin, die scheinbar durch MwStSystRL und MwStVO harmonisierten nationalen Jurisdiktionen in der EU im Blick zu behalten, um unseren steuerlichen Verpflichtungen vollumfänglich nachzukommen. Vor allem umfassende Reporting-Pflichten in Ländern wie Polen, Ungarn oder Italien sind eine permanente Herausforderung. Hier muss viel Verständnis für die Sichtweise der jeweiligen Finanzverwaltung aufgebracht werden, um zu wissen, was genau und in welchem Umfang zu melden ist. Eine einheitliche Herangehensweise der EU-Mitgliedstaaten wäre hier sicherlich wünschenswert. Dies betrifft weniger das materiell-rechtliche Umsatzsteuerrecht als vielmehr einheitliche Reportingverpflichtungen mit Blick auf SAF-T Filings, E-Invoicing und Real-Time Invoicing oder auch ein einheitliches Verfahrensrecht in Bezug auf das Umsatzsteuerrecht. Nur so können aus meiner Sicht Risiken und Haftungsfallen minimiert werden. 

Kann die EU-Initiative VAT in the Digital Age zumindest einen Teil dieser Herausforderungen beseitigen?

Ich hoffe es doch sehr! Erleichterungen und Vereinheitlichungen bei Reihengeschäften, Reporting- sowie Registrierungsverpflichtungen wären absolut wünschenswert. Auch wenn durch die Quick Fixes auf materiell-rechtlicher Ebene einige Punkte vereinfacht wurden, erweisen sich die administrativen Hürden in der Praxis nach wie vor als hoch. So gibt es in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Anforderungen mit Blick auf die Themen Umsatzsteuervoranmeldung, Zusammenfassende Meldung oder Intrastat. Hinzukommen diverse Real-Time Invoicing und E-Invoicing Anforderungen. Die Folge ist, dass kein einheitlicher Datenexport existiert, auf dessen Grundlage man sämtlichen Meldeverpflichtungen in der EU einheitlich nachkommen könnte.

Wie ist Deine Meinung zum Thema Single VAT Registration?

Eine Single VAT Registration oder Erweiterung des One Stop Shop auf versandhandelsspezifische Transaktionen würde eine enorme Erleichterung bedeuten. Transaktionen wie Umlagerungen oder die lokale Lieferung am Ende eines Reihengeschäftes, zum Beispiel bei Dropshipping-Fällen, führen weiterhin zu Registrierungs- und Reportingverpflichtungen. Und das, obwohl es in 99% der Fälle keiner tiefgründigen steuerlichen Würdigung bedarf, die es rechtfertigt, lokale Steueranmeldungen einzureichen. Aus meiner Sicht ist es durchaus zumutbar, den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einzuräumen, diese Umsätze im Sitzland zu melden. Generell würde ein EU-weit einheitliches Melde- und Kontrollverfahren dazu beitragen, einerseits compliant zu handeln und andererseits den Mehrwertsteuerbetrug nachhaltig zu bekämpfen.

Auch die Ausweitung der Lieferkettenfiktion steht im Fokus der EU-Kommission.

Aus Sicht der EU-Kommission kann ich erweiterte Pflichten der Marktplätze über eine Ausweitung der Lieferkettenfiktion zwar nachvollziehen. Persönlich halte ich diese Maßnahme aber nicht für zielführend. Hier werden unter dem Banner der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs Pflichten nationaler Finanzverwaltungen auf einige wenige „große” Steuerpflichtige ausgelagert, die sich dann mit nicht zu vernachlässigenden Risiken konfrontiert sehen. Auch hier wäre ein effektives und wirksames innergemeinschaftliches Kontrollsystem, gegebenenfalls in Echtzeit, die bessere Variante. So bleibt wieder mal der Eindruck, die Steuerpflichtigen müssen den Kopf hinhalten für strukturelle Versäumnisse der Verwaltung. Zumal die Reporting-Verpflichtungen – nicht nur auf umsatzsteuerlicher Ebene – von Jahr zu Jahr zunehmen. Diesem Trend sollten Steuerpflichtige und Verwaltung gemeinsam entgegenwirken.

Wenn du eine Sache im Umsatzsteuerrecht an der Schnittstelle zum E-Commerce ändern könntest, welche wäre das?

Da fallen mir gleich mehrere Punkte ein. Im Zuge der Angleichung der innergemeinschaftlichen Kontrollverfahren im Rahmen der VIDA-Initiative würde ich mich über den Wegfall des § 3d S. 2 UStG freuen. Im Grunde trägt dieser dem Problem Rechnung, dass die Nachweiskette der Korrespondenz von innergemeinschaftlicher Lieferung und Erwerb im Zielland durch die Angabe einer falschen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gebrochen wird. Hier sollten Kontrollmechanismen geschaffen werden, die diese Sicherheitsbesteuerung hinfällig machen. Insbesondere der Umstand, dass die Steuer nach § 3d S. 2 UStG nicht als Vorsteuer abzugsfähig ist, kann zu großen Problem führen und sollte vor dem Hintergrund der Neutralität der Umsatzsteuer für Unternehmer nicht als Damoklesschwert über den Steuerpflichtigen hängen.

Ein anderer Punkt, der mir wichtig ist: Aus meiner Sicht sollte ein noch stärkerer Fokus auf den Vertrauensschutz im (vorgelagerten) B2B-Bereich gelegt werden. Hierzu wären zum Beispiel Klarstellungen auf Unionsebene sowie einheitliche Vorgaben zu Fragen der „Verwendung” einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, dem Begriff der umsatzsteuerlichen Verfügungsmacht oder dem Vertrauen auf die umsatzsteuerliche (Nicht-)Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners wünschenswert. Hier schließt sich meiner Meinung nach der Kreis im Hinblick auf den Wunsch nach einem stärkeren Miteinander von Gesetzgeber und Verwaltung einerseits und Steuerpflichtigen andererseits. Generell sollte die Besteuerung des Endverbrauchs wieder verstärkt in den Fokus rücken und weniger versucht werden, auf allen Handelsstufen aus minimalen Unschärfen das Maximale für den Fiskus herauszuholen. Hier sind Gesetz- und Richtliniengeber gefragt, das Umsatzsteuerrecht zu vereinfachen – und gemeinsam mit den Steuerpflichtigen daran zu arbeiten, die Mehrwertsteuerlücke in der EU von zuletzt 93 Milliarden Euro pro Jahr zu schließen. 

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