Unternehmer oder Endverbraucher? Das ist die Frage im Onlinehandel & Umsatzsteuerrecht!

Seit dem 1.7.2021 schulden Onlinehändler für fast jede grenzüberschreitende Lieferung innerhalb der EU die Umsatzsteuer im Bestimmungsland und können diese über den OSS erklären und abführen. Das gilt jedoch nur, wenn der Käufer ein Endverbraucher bzw. eine Privatperson ist – also kein (Voll)Unternehmer. Die Frage ist daher: Wie bestimmt man im Onlinehandel rechtssicher, dass der Käufer kein Unternehmer ist?
Dazu muss man sich vor Augen führen, dass die zu dieser Frage gelebte Praxis und die bisherige Rechtsprechung im Onlinehandel weitgehend nutzlos ist. Warum? Das klären wir gleich.
Wir starten zunächst mit DEM roten Faden in der Umsatzsteuer: dem Bestimmungslandprinzip
Das Bestimmungslandprinzip in der Umsatzsteuer
Man stelle sich vor, dass ein so exportstarker Staat wie Deutschland davon profitiert, dass Endverbraucher und Unternehmen weltweit die Produkte und Dienstleistungen deutscher Unternehmen kaufen und der deutsche Fiskus gleichzeitig die dabei entstehende Umsatzsteuer vereinnahmen würde – bzw. die Umsatzsteuer aus den entsprechenden Staaten absaugen würde.
Das würde eine Institution wie die EU nicht aushalten, sodass wir seit dem 1.1.1993 – der Geburtsstunde des Binnenmarktes – das sogenannte Bestimmungslandprinzip fest im Umsatzsteuerrecht verankert haben. Das bedeutet einfach nur, dass die Umsatzsteuer grds. dort entsteht, wo der Verbrauch/Konsum stattfindet.
Das klingt zielführend, logisch und konsequent. Oder?! Leider erfolgt die Umsetzung nicht so konsequent und ist auch davon abhängig, wer der Empfänger ist: Endverbraucher oder Unternehmer? Wir schauen uns im Folgenden nur die Endverbraucher an, denn wir wollen wissen: Welche Transaktionen darf ich über den OSS melden? Wie identifiziere ich rechtssicher Endverbraucher?

Bei dieser Frage kommt man im Onlinehandel schnell an Grenzen. Während in der analogen Welt vollkommen klar sein sollte, wer der Käufer ist, und man im Zweifel für jede B2B-Lieferung hinreichend viele Belege (Auftrag, Schriftwechsel, …) zur Hand hat, um die Unternehmereigenschaft des Käufers nachzuweisen, ist das im E-Commerce deutlich schwieriger. Warum?
Amazon und Co. schirmen ab: Wer kauft bei mir ein? Endverbraucher oder Unternehmer?
Basierend auf unseren Daten werden zwischen 75 und 80 Prozent der grenzüberschreitenden Transaktionen über die großen Plattformen Amazon, eBay und Zalando abgewickelt. Die Plattformen treten dabei als Vermittler auf und verdienen entsprechende Vermittlungsprovisionen. Daher liegt es im Interesse der Plattformen, dass die Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer auf das absolute Minimum reduziert wird. Beim Käufer verfestigt sich gleichzeitig die Wahrnehmung, dass er seine Produkte über Amazon & Co. kauft.
Das heißt in der Praxis, dass anhand der Transaktionsdaten nicht unmittelbar ersichtlich ist, ob es sich um eine B2B- oder um eine B2C-Transaktion handelt.
Nenne mir deine USt-IdNr. und ich sage dir, wer du bist!
Das stimmt nicht ganz, denn es gibt ein eindeutiges Merkmal, das ein Unternehmen von einem Endverbraucher unterscheidet: die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.)
Liegt demnach für eine Lieferung im Onlinehandel keine gültige USt-IdNr. im Zeitpunkt der Lieferung vor, kommt ihr z.B. bei grenzüberschreitenden Lieferungen nicht mehr zu einer sogenannten steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung. Die folgende Grafik veranschaulicht diese Methodik. Mehr dazu lest ihr hier.

Heißt das dann auch im Umkehrschluss, dass, wenn keine USt-IdNr. vorliegt – z.B. in den Amazon-Daten – ihr immer davon ausgehen könnt, dass es sich um einen Endverbraucher handelt? Ja!
Wo steht das?
Gesetzliche Grundlagen: Endverbraucher versus Unternehmer
Die Frage, wie man automatisiert in einem Massendatenverfahren, Unternehmer bzw. Endverbraucher identifiziert, gibt uns das Umsatzsteuerrecht. Nicht, das Umsatzsteuerrecht, das viele vor Augen haben, sondern die Mehrwertsteuer-Verordnung (MWStVO). Die MWStVO ist eine EU-Verordnung und entfaltet unmittelbar Rechtswirkung in jedem EU-Staat – unabhängig davon, ob dieser Staat die jeweiligen Regelungen darin umgesetzt hat oder nicht. (Viele EU-Staaten sind da manchmal ziemlich stur.)
Die alles entscheidende Norm ist Art. 18 MWStVO, den ihr hier in Gänze seht.
Vorab die folgenden Erklärungen, damit ihr den Gesetzestext selbst interpretieren könnt, denn das Umsatzsteuerrecht ist in der Regel sehr verständlich.
- Steuerpflichtiger = Unternehmer
- Nichtsteuerpflichtiger = Endverbraucher
Art. 18 MWStVO
(1) Sofern dem Dienstleistungserbringer keine gegenteiligen Informationen vorliegen, kann er davon ausgehen, dass ein in der Gemeinschaft ansässiger Dienstleistungsempfänger den Status eines Steuerpflichtigen hat,
a)
wenn der Dienstleistungsempfänger ihm seine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt hat und er die Bestätigung der Gültigkeit dieser Nummer sowie die des zugehörigen Namens und der zugehörigen Anschrift gemäß Artikel 31 der Verordnung (EG) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer erlangt hat;
b)
wenn er, sofern der Dienstleistungsempfänger noch keine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten hat, jedoch mitteilt, dass er die Zuteilung einer solchen Nummer beantragt hat, anhand eines anderen Nachweises feststellt, dass es sich bei dem Dienstleistungsempfänger um einen Steuerpflichtigen oder eine nicht steuerpflichtige juristische Person handelt, die verpflichtet ist, sich für Mehrwertsteuerzwecke erfassen zu lassen, und mittels handelsüblicher Sicherheitsmaßnahmen (wie beispielsweise der Kontrolle der Angaben zur Person oder von Zahlungen) in zumutbarem Umfang die Richtigkeit der vom Dienstleistungsempfänger gemachten Angaben überprüft.
(2) Sofern dem Dienstleistungserbringer keine gegenteiligen Informationen vorliegen, kann er davon ausgehen, dass ein in der Gemeinschaft ansässiger Dienstleistungsempfänger den Status eines Nichtsteuerpflichtigen hat, wenn er nachweist, dass Letzterer ihm seine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer nicht mitgeteilt hat. Ungeachtet gegenteiliger Informationen kann jedoch der Erbringer von Telekommunikations-, Rundfunk- oder elektronisch erbrachten Dienstleistungen davon ausgehen, dass ein innerhalb der Gemeinschaft ansässiger Dienstleistungsempfänger den Status eines Nichtsteuerpflichtigen hat, solange der Dienstleistungsempfänger ihm seine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer nicht mitgeteilt hat.
(3) ...
Jetzt werden sich viele fragen: Moment mal! Der Artikel 18 spricht doch nur von Dienstleistungen! Onlinehandel sind aber Lieferungen! Kann man das so einfach auf Lieferungen übertragen?
Die Antwort ist: Ja, warum denn nicht? Wenn der Gesetzgeber sagt, dass man Unternehmer von Endverbrauchern zweifelsfrei über die USt-IDNr. unterscheiden kann, dann gibt es kein valides Argument dafür, dass man das nicht auch für Lieferungen im Onlinehandel machen kann.
Man muss das Ganze auch historisch betrachten. Die Notwendigkeit einer klaren Identifikation des Leistungsempfängers entstand mit den (elektronischen) Dienstleistungen, die – standardisiert angeboten – zunehmend einer gewissen Anonymität unterlagen. Die Welt der Lieferungen war immer geprägt von: schriftlichen Aufträgen, Kommunikation über Vertriebsabteilungen und mehr. Erst der E-Commerce hat die B2B- und die B2C-Welt beinahe nahtlos verschweißt. Deswegen ist es u.E. nur eine Frage der Zeit, bis der Gesetzgeber diese Klarstellung auch nochmals für die Welt der Lieferungen (im Onlinehandel) ausspricht. Das ist aber eigentlich auch nicht zwingend erforderlich.
Wenn Ihr ähnliche Zweifelsfragen bei der Betreuung eurer Mandanten im E-Commerce habt, postet diese gerne in die Kommentare. Wir freuen uns auf den Austausch.