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Reform der (reduzierten) Umsatzsteuersätze in Kraft: Mehr Freiheiten für die Mitgliedstaaten = mehr Komplexität für den Onlinehandel

Die kürzlich in Kraft getretenen Änderungen im Bereich der Mehrwertsteuersätze gewähren den EU-Staaten deutlich mehr Freiheiten bei der Anwendung von reduzierten Steuersätzen.
Dr. Roger Gothmann
Dr. Roger Gothmann
  • 7 min. Lesezeit
Reform der (reduzierten) Umsatzsteuersätze in Kraft: Mehr Freiheiten für die Mitgliedstaaten = mehr Komplexität für den Onlinehandel

Ein Grund, warum der grenzüberschreitende Onlinehandel für viele immer noch mit hohen Hürden verbunden ist, ist die Vielfalt der Steuersätze in der Europäischen Union (EU).

Seit dem 1. Juli 2021, seitdem beinahe jede grenzüberschreitende Lieferung an Privatpersonen innerhalb der EU immer im  Bestimmungslandes zu versteuern ist, betrifft dieses Problem so gut wie jeden Onlinehändler bzw. dessen Steuerberater.

Jeder Staat scheint hier sein eigenes Süppchen zu kochen. Eine Struktur, anhand derer man für jedes Produkt und jeden EU-Staat zweifelsfrei den Steuersatz bestimmen kann, gibt es nicht.

Am 7. Dezember 2021 kam der Rat der EU – ein sogenanntes Beschlussfassungsorgan der EU – zusammen und entschied im Rahmen der ECOFIN final darüber den Mitgliedstaaten weitere Freiheiten hinsichtlich der Anwendung reduzierter Steuersätze zu gewähren.

Diese Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie wurde Anfang April im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und ist somit mittlerweile auch bereits in Kraft getreten.

Die EU-Mitgliedstaaten können die neuen Regularien seither weitestgehend umsetzen.

Die Frage, die sich nun stellt: Wird durch diese große Reform vieles einfacher, oder droht uns – wie bei vielen Reformen – zusätzliche Komplexität?

Um diese Frage zu beantworten, starten wir kurz mit den Hintergründen der Reform und schauen uns anschließend die einzelnen Bestandteile an.

Hintergründe: Umsatzsteuersätze in der EU – Ein ewiger Streit zwischen der EU-Kommission und den Staaten

Umsatzsteuer ist für die meisten Staaten der EU die wichtigste Einnahmequelle. Die entsprechenden Steuersätze wiederum sind ein wichtiges Steuerungsinstrument im Rahmen der Wirtschafts- und auch Sozialpolitik. Das folgende Beispiel verdeutlicht das.

Umsatzsteuer und der Wert von Lebensmitteln: Wer regelmäßig in skandinavischen Ländern Urlaub macht – z.B. in Dänemark – wird feststellen, dass Lebensmittel dort deutlich teurer sind. Das hängt nicht nur mit der höheren Kaufkraft zusammen, sondern auch mit dem Umsatzsteuersatz, dem Lebensmittel unterliegen.

In Deutschland ist das häufig der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent. Ein Staat wie Dänemark kennt gar keinen ermäßigten bzw. reduzierten Steuersatz und unterwirft daher auch Lebensmittel dem Standardsteuersatz von 25 Prozent.

Die Frage ist: Kann jeder Staat frei entscheiden, welches Produkt oder welche Dienstleistung er zu welchem Prozentsatz der  Umsatzsteuer unterwirft?

Die Antwort lautet vereinfacht gesagt: Ja und Nein!

Grundsätzlich regelt die Europäische Kommission mit ihren Vorgaben in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie, dass jedes Produkt und jede Dienstleistung zunächst mit mindestens 15 Prozent Umsatzsteuer versteuert werden muss. Eine Obergrenze gibt es gesetzlich betrachtet nicht. Dänemark liegt aktuell mit 25 Prozent recht weit vorne, wird aber noch von Ungarn mit 27 Prozent überholt.

Exkurs Steuerbefreiungen: Im Umsatzsteuerrecht können auch die Lieferung bestimmter Produkte bzw. die Erbringung bestimmter Dienstleistungen von der Umsatzsteuer befreit werden. Das kann z.B. die Leistung eines Arztes sein oder die Lieferung in einen Drittstaat (sogenannte Ausfuhrlieferung). In diesem Artikel sollen aber Lieferungen im Rahmen des Onlinehandels innerhalb der EU an Endverbraucher im Fokus stehen. Diese unterliegen in der Regel keiner Steuerbefreiung.

Während es keine Obergrenze gibt, so gab es vor der in Kraft getretenen Reform eine Untergrenze in Höhe von 5 Prozent. Man spricht in diesen Fällen von ermäßigten bzw. reduzierten Steuersätzen. Diese müssen demnach zwischen 5 Prozent und weniger als 15 Prozent betragen (wir erinnern uns, 15 Prozent ist die aktuelle Untergrenze für den Standardsteuersatz).

Exkurs Untergrenze: Eine Untergrenze bei den Steuersätzen dient u.a. zur Vermeidung von Steuerdumping. So wäre es z.B. denkbar, dass Mitgliedstaaten ihre Einwohner durch sehr niedrige Steuersätze entlasten und sich einen Teil der entgangenen Staatseinnahmen über den Finanzausgleich in der EU zurückholen. Diesen adversen Anreiz will man damit grds. einschränken.

Schaut man über die Grenzen innerhalb der EU stellt man jedoch schnell fest, dass viele EU-Staaten sich nicht an diese Untergrenze gehalten haben. Zu groß sind die Verlockungen und der wirtschaftspolitische Hebel, den Umsatzsteuersätze mittlerweile entfalten. 

Die Sanktionsmaßnahmen der EU-Kommission als Hüterin der maßgeblichen Mehrwertsteuersystemrichtlinie sind jedoch begrenzt, sodass wir seit vielen Jahren auch mit sogenannten super-ermäßigten Steuersätzen in zahlreichen EU-Staaten leben.

Die EU-Kommission hat nun die Gunst der Stunde ergriffen. In den kommenden Jahren soll das Umsatzsteuerrecht in der EU noch weitgehender reformiert werden, als das E-Commerce Package/OSS zum 1. Juli 2021 nur angedeutet haben. Dafür braucht die EU-Kommission die Zustimmung aller Staaten, denn es gilt das Prinzip der Einstimmigkeit in der EU bei solchen wichtigen Reformvorhaben.

Da die Spatzen es in Brüssel bereits seit einigen Jahren von den Dächern pfeifen, kann man es auch einmal klar aussprechen. Diesen Reformwillen hat sich die Kommission nun dadurch erkauft, dass sie den Mitgliedstaaten deutlich mehr Autonomie bei der Bestimmung (ermäßigter) Steuersätze zugestehen will. 

Schauen wir uns diese Zugeständnisse einmal im Detail an.

Mit der Steuersatz-Reform wurde der sogenannte Anhang III der MwStSystRL angepasst, sodass es letztendlich 24 Kategorien an Waren und Dienstleistungen gibt, welche die Mitgliedstaaten ermäßigt oder sogar super-ermäßigt besteuern dürfen – aber nicht zwingend müssen.

Wir erinnern uns, dass “ermäßigt/reduziert” einen Steuersatz zwischen 5 und 15 Prozent bedeutet.

Neben einer Änderung/Erweiterung der Kategorien im Anhang III beinhaltet die Reform auch einen wirklich neuen Aspekt: Die Mitgliedstaaten dürfen – müssen aber nicht – für bis zu 7 Kategorien (aus den 24 Kategorien) ihrer Wahl einen super-ermäßigten Steuersatz von weniger als 5 Prozent anwenden.

Mitgliedstaaten, die schon jetzt über einen entsprechenden Steuersatz verfügen – weil sie sich nicht an die Regeln gehalten haben – müssen diese Steuersätze dann ab 2025 den 7 Kategorien zuordnen.

Weitere Ausnahmen gewährt die Reform den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Steuersätzen, die unter dem Standardsteuersatz liegen aber nicht unter 12 %, weitere Freiheiten.

Sonderregelungen für Steuersätze, die nicht unter 12 Prozent liegen

Um eine Verzerrung zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden, haben sich die Mitgliedstaaten auf Folgendes geeinigt. Eine Reihe von Ausnahmen ermöglicht es Mitgliedstaaten bisher Steuersätze, die nicht unter 12 Prozent liegen, auf andere Gegenstände anzuwenden als die, die in Anlage III der MwStSytRL genannt sind.

Mit der in Kraft getretenen Reform soll diese Möglichkeit allen Mitgliedstaaten im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes eröffnet werden. Dies bedeutet, dass fortan auch Steuersätze, die nicht geringer als 12 Prozent sind, in bestimmten Fällen zulässig sind.

Zusätzlich stärkt die Reform auch die Rolle der Steuersätze als Konjunktur-Booster.

Die Verankerung eines Covid-Mechanismus in den Steuersätzen

Inwieweit die temporäre Steuersatzsenkung aus 2020 in Deutschland und vielen weiteren EU-Staaten die Konjunktur gestützt oder gar gepusht hat, ist noch immer umstritten. Unstrittig ist, dass die Mitgliedstaaten diese Möglichkeit der aktiven Wirtschaftspolitik mittels Umsatzsteuersätzen auch in der MwStStsystRl verankert sehen wollten. Dazu ist es nun auch gekommen.

Deutlich mehr Zeit lässt man sich in Sachen Nachhaltigkeit.

Steuersätze fördern Nachhaltigkeit – aber erst 2030, oder später

Bislang unterliegen noch zahlreiche Warenlieferungen, deren Produkte oftmals mit hohen CO2-Emissionen verbunden sind – z.B. Dünger oder Pestizide – ermäßigten Steuersätzen. Das kommt faktisch einer Förderung gleich, welche nun ab 2030 auslaufen soll.

Fazit: Der große Wurf?

Die Mitgliedstaaten waren sich am 7. Dezember 2021 einig: Die Struktur der (ermäßigten) Steuersätze in der EU wurden umfangreich reformiert.

Ist das der große Wurf, der vieles vereinfachen wird – insbesondere im Onlinehandel?

Die Antwort lautet: definitiv Nein! 

Wir sehen durch die Reform deutlich mehr Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung ermäßigter und super-ermäßigter Steuersätze. Dieses Bonbon der Kommission an die Wirtschaftspolitiker der Nationalstaaten wird dazu führen, dass insbesondere im grenzüberschreitenden E-Commerce automatisierte Umsatzsteuer-Logiken, welche zwingend auf umfassenden Umsatzsteuersatz-Datenbanken beruhen sollten, wichtiger denn je werden.

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