ViDA nach der Europawahl: kein gutes Signal für agile und innovative Unternehmen

Als am Abend des 9. Junis 2024 die ersten Prognosen und Hochrechnungen zur Europawahl 2024 veröffentlicht wurden, war klar: Das war nicht der Rückenwind für den Europäischen Binnenmarkt und die so sehr benötigte Umsatzsteuerreform mit dem vielsagenden Namen: VAT in the Digital Age (ViDA). Wie geht es damit jetzt weiter?

Parteien sowohl am linken als auch am rechten Spektrum hatten stark zugelegt und damit auch deren Position für ein Mehr an Nationalismus: also u.a. ein Zurückdrehen der Errungenschaften des Binnenmarktes.
E-Commerce ohne Binnenmarkt in Europa undenkbar
Offenkundig hatten zu sehr die Narrative gewirkt, welche die Europäische Union als Bürokratiemonster darstellen. Dabei müssen wir uns hier in diesem Blog, der an der Schnittstelle von E-Commerce und Regulierung lebt, eines vor Augen führen.
Ohne einen harmonisierten Binnenmarkt wäre der grenzüberschreitende Handel auf dem alten Kontinent nur Großkonzernen mit ihren Konzernsteuerabteilungen und horrenden Stundensätzen der BiG4 vorbehalten. Den E-Commerce in seiner jetzigen Ausprägung – der durch kleine, agile, innovative Unternehmen geprägt ist – würde es nicht geben. Wir hätten 27 Einzelstaaten und genauso viele Ausprägungen eines Umsatzsteuerrechts und vieler weiterer Normen. Die Form der Regulierung wäre ein Bürokratiemonster und sie wäre nicht abbildbar.
Nicht jammern, sondern über die Vorteile und die Zukunft Europas sprechen!
Diese Europawahl, die sehr wahrscheinlich nicht das Signal für eine weitere Harmonisierung und Ausbau des Binnenmarktes bildet, ist selbstverständlich demokratisch legitimiert und es hilft uns nicht weiter, darüber zu jammern, warum denn nur so viele Menschen Europa-feindlichen Parteien ihre Stimme gegeben haben. Wir müssen vielmehr die Vorzüge Europas in den Vordergrund rücken.
Ich bin im Herzen Umsatzsteuerrechtler und Volkswirt und ich kann nur wiederholen: Ein demografisch alterndes Europa wird langfristig nur dann keinen Wohlstandsverlust erfahren, wenn wir diese Produktivitätsverluste durch Technologie ausgleichen. Dafür kann Brüssel – die EU-Kommission – den regulatorischen Rahmen schaffen.
Aktuell scheitert aber selbst ein Tech-Gigant wie Amazon mit seinen unendlichen Ressourcen und Mandaten bei allen Big4 am derzeitigen Umsatzsteuerrecht.
Der folgende Screenshot zeigt, dass Amazon in der Vergangenheit vermutlich bei zahlreichen Händlern die Anwendung der sogenannten Lieferkettenfiktion übersehen hat und jetzt nachträglich Umsatzsteuer abführen muss. Das wird sowohl für Amazon als auch für die betroffenen Händler maximal hässlich.

Dazu der Auszug einer Diskussion in einem Händlerforum. Fünfstellige Nachzahlungen dürften dabei nur der Anfang an.

ViDA: Wie geht es weiter?
Am 21.06.2024 wird die nächste Sitzung der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) zu ViDA stattfinden. Dann wird sich zeigen, ob diese so wichtige Reform weiter auf Eis liegen bleibt.
Fazit: Wir haben so viel erreicht. Lasst uns das nie vergessen und nicht stehen bleiben!
Vor wenigen Tagen machte die folgende Schlagzeile die Runde, als bekannt wurde, dass britische Fallschirmjäger bei der Nachstellung zum 80-jährigen Jubiläum des D-Days unmittelbar nach ihrer Landung in der Normandie zum Zoll mussten – weil sie eben nicht mehr Teil der Europäischen Union sind.

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Franky
Mit dem Tenor des Artikels bin ich nicht ganz einverstanden. Mein Eindruck ist, dass die EU eher für die großen Marktplätze wie Amazon und nicht für uns Mittelständler von Vorteil ist. Amazon, Temu und wie sie alle heißen bieten Anbietern mit Sitz außerhalb der EU den Zugang zu einem gewaltigen Markt, wo sie sich nicht an die Regeln halten und uns lokalen Händlern das Leben schwermachen.
Es ist leider nach wie vor an der Tagesordnung, dass solche Händler mit Sitz außerhalb der EU zum Beispiel in Deutschland Produkte anbieten, die sie so hier gar nicht verkaufen dürfen. Dies benachteiligt uns lokale Händler, die sich an die lokalen Gesetz halten müssen.
Anderes Beispiel: die EU-Verpackungsverordnung. Händler, die sich daran halten, können ihre Produkte in den meisten kleineren EU-Ländern nicht mehr wirtschaftlich verkaufen, weil für jedes Land eigene Entsorgungsverträge abgeschlossen werden müssten. Die EU-Verpackungsverordnung ist halt ein echtes EU-Bürokratiemonster, das viel Geld verschlingt und meiner Einschätzung nach nichts zum vorgeblichen Ziel beiträgt, die Verpackungsmengen zu reduzieren.
Wenn die EU etwas für die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittelständischen Händler tun will, sollte sie vor allem unsere Rechte gegenüber den chinesischen und US-Giganten stärken und eine Pflicht für Online-Händler einführen, auch den Sitz in der EU zu haben, wenn sie in diesem Markt verkaufen.
Dr. Roger Gothmann
Moin Franky,
vielen Dank für das Feedback!
Ich stimme Dir zu: Ein sogenanntes Level-Playing-Field – also die gleichen Spielregeln für alle – haben wir im E-Commerce noch nicht, weil auch gerade die Händler aus Drittstaaten für die Behörden in der EU nicht greifbar sind.
Auf dem Taxdoo Innovation Summit werden wir auch mit der Politik darüber sprechen: https://www.taxdoo.com/de/e/taxdoo-innovation-summit-2024/.
Viele Grüße
Roger