Über 50.000 Steuerkanzleien gibt es in Deutschland. Ohne sie wäre ein Großteil der kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) in Deutschland verloren im Dickicht zunehmender regulatorischer Anforderungen im Bereich Steuerrecht, Buchhaltung und weitergehender Compliance.
Nicht nur im E-Commerce suchen Unternehmen daher in allen Branchen nach einem verlässlichen Partner, an den sie zwei wesentliche Anforderungen haben.
Eine fundierte und möglichst proaktive persönliche Beratung
Digitale und automatisierte Prozesse, die sich effizient im Unternehmen einbinden lassen
Dazu haben wir einen Deep Research über alle öffentlich verfügbaren Studien gemacht: von STAX bis hin zur DATEV und auch Fachartikel auf Papier digitalisiert und ausgewertet. Ihr seht hier das Resultat und unsere Einordnung.
Die Realität: Klein(st)kanzleien kämpfen um und mit knappen Ressourcen
Über 80 Prozent aller Steuerkanzleien in Deutschland beschäftigen maximal zehn Mitarbeitende. Genauer gesagt:
50 % sind Einzelkanzleien mit nur 1 bis 3 Mitarbeitenden
Weitere 30 % zählen zu den „kleinen Kanzleien“ mit 4 bis 10 Mitarbeitenden
Mittlere und größere Kanzleien bilden dagegen die Ausnahme – und Großkanzleien mit über 50 Mitarbeitenden machen gerade einmal 1 % des Markts aus (ohne die Big10 wie z.B. EY, WTS, …).
Was heißt das für die Branche – und für die Digitalisierung sowie den Einsatz von KI? Die Mehrheit der Kanzleien (80 Prozent) kämpft definitiv nicht mit komplexen Strukturen, sondern mit knappen Ressourcen. Diese Kanzleien liegen bei der Digitalisierung – und vor allem bei generativer KI – oftmals weit hinten, weil sie einfach nicht die Kapazitäten für die erforderlichen Transformationsprozesse haben.
Das drückt sich aktuell u.a. in einer breiten Skepsis generativer KI gegenüber aus.
KI-Skepsis und wo sie (wahrscheinlich) herkommt
Kürzlich sorgte die sogenannte STAX-Umfrage (2024) für Aufsehen, weil sie verdeutlichte, mit welcher Skepsis Steuerberater bzw. Steuerkanzleien den Einsatz generativer KI betrachten. Auch hier wird ein Gefälle zwischen größeren und kleinen Kanzleien deutlich.
Umso wichtiger erscheint es, dass Kanzlei wachsen. Wie sieht hier der Trend aus?
Entwicklung bei der Mitarbeiterzahlen: Es bewegt sich etwas – teilweise
Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl steigt seit Jahren – allerdings nur in mittleren Kanzleien. Treiber sind u. a. Digitalisierung, komplexere Mandate und steigende Anforderungen an Servicequalität.
Die Teamgrößen in Steuerkanzleien wachsen – langsam, aber kontinuierlich. Besonders mittlere Kanzleien (11–50 MA) haben ihre Personalstärke seit 2010 spürbar erhöht. Dies reflektiert die wachsende Komplexität steuerlicher Themen und den Trend zur arbeitsteiligen Mandatsbetreuung.
Bei den Einzelkanzleien ist dieser Trend jedoch kaum spürbar. So entwickelt sich ein Teufelskreis aus fehlender Digitalisierung und dadurch fehlender Attraktivität für motivierte Nachwuchskräfte,
Wie sieht die Struktur der Kanzleiteams aus?
Die Zusammensetzung des Teams variiert je nach Kanzleistruktur deutlich: Während Einzelkanzleien meist aus einem Berufsträger und wenigen Fachangestellten bestehen, verfügen überörtliche Sozietäten über spezialisiertere und größere Teams.
Mit zunehmender Größe und Komplexität verändern sich nicht nur die Mandate, sondern auch die Teamstruktur: Überörtliche Sozietäten beschäftigen durchschnittlich vier Steuerberater, zehn Fachangestellte sowie mehrere Auszubildende und Verwaltungskräfte. In Einzelkanzleien hingegen dominiert das klassische Modell mit einem Inhaber und wenigen Mitarbeitenden.
Nicht ohne Grund wächst der Verwaltungsanteil mit zunehmender Kanzleigröße, da damit nicht nur eine zunehmende Professionalisierung des Personalmanagements einhergeht. Auch verfügen größere Kanzleien über zunehmend mehr Inhouse-IT-Ressourcen und damit auch über strukturiertere und standardisierte Arbeitsprozesse.
Die Chancen der Digitalisierung und Use Cases für KI
Erst kürzlich konnte ich hier in diesem Blog herleiten, dass generative KI im Steuerrecht bereits auf dem Niveau eines Big-4-Associates liegt. Die Fantasie aufseiten deutscher Steuerkanzleien zu möglichen konkreten Anwendungsfällen ist jedoch noch überschaubar und variiert auch wiederum stark mit der Kanzleigröße.
Fazit: Das Kleinklein bremst die technologische Transformation
Die Hälfte aller deutschen Steuerkanzleien hat drei oder weniger Mitarbeiter. Als ich diese Zahlen kürzlich auf LinkedIn veröffentlichte, kam spontan die folgende Antwort eines Steuerberaters aus der Start-up-Welt.
Das Diagramm veranschaulicht das Dilemma der Start-up-Szene, die sich in diesem Markt tummelt (TaxTech). Der reelle Markt ist auf maximal 5-10k Kanzleien beschränkt. Ein echter „red ocean“. (Steuerberater Benjamin Bhatti).
Bedeutet das umgekehrt, dass man über 50 Prozent aller deutschen Steuerkanzleien abschreiben muss? Dass sie entweder aufgrund fehlender Kapazitäten und/oder fehlenden Transformationsdrucks gar kein Interesse an Digitalisierung, KI, Automatisierung, … haben?
Was könnt ihr von diesem Blogpost erwarten? Es geht um das Zusammenwachsen von Steuerberatung und Technologie und mündet am konkreten Beispiel und der Frage, wie Unternehmen im E-Commerce (Onlinehändler) einen kompetenten Steuerberater finden.
Vorgestern war ein spannender und zugleich sehr herausfordernder Tag, denn wir hatten im Taxdoo-Office wieder einmal Besuch von einer Steuerkanzlei mit dem Fokus E-Commerce. Dann kommen Teammitglieder aus allen Bereichen zusammen und tauschen sich mit unserem Gast und Partner aus.
Das machen wir regelmäßig, denn trotz generativer KI, Design-Frameworks, strukturierten Produktforschungsinterviews … ist der persönliche Austausch durch nichts zu ersetzen.
Die Kommunikation zwischen den Zeilen, das Zucken des rechten Steuerberater-Ohrläppchens bei der Vorstellung einer neuen Buchhaltungsfunktion, … sind immer noch der beste Indikator dafür, ob man auf einer Wellenlänge liegt.
Grenzen zwischen Steuerberatung und Technologie werden verschwinden
Dieser Austausch – war er ohnehin wichtig – wird in Zukunft noch deutlich mehr an Bedeutung gewinnen, denn Technologie und klassische Steuerberatung werden zukünftig nur noch formal getrennt sein. Aus der Sicht des Mandanten/Kunden wird diese Trennung verschwinden – hat sie ihn doch in der Vergangenheit Zeit, Nerven und Geld gekostet. Dieser erwartet zu Recht ein homogenes Produkt aus effizienten Prozessen, Technologie und fundierter datenbasierter Steuerberatung ohne Sollbruchstellen und Standesdünkel.
Kürzlich sprach ich mit einem Partner einer Steuerberatungsgesellschaft, der diesen Blogpost zum Anlass genommen hatte, um selbst ein steuerliches Gutachten durch generative KI zu erstellen zu lassen. Ich hatte diesen Artikel damit überschrieben, dass KI mittlerweile auf dem Niveau eines durchschnittlich motivierten Big4-Associates wäre. Er meinte nur, dass er selbst mal Big4-Associate gewesen wäre und ChatGPT hier schon fast weiter wäre.
…. dennoch gibt es eine Sache, die zählt: (Branchen)Erfahrung – insbesondere im E-Commerce
Dennoch wird generative KI aus einem Laien keinen Steuerexperten machen. Was KI aber kann: Diese Technologie ist dafür gemacht, um das Wissen und die Erfahrung von herausragenden Experten zu hebeln.
Das bedeutet aber auch: Ohne Erfahrung, ohne Branchenkenntnisse, ohne ein fundiertes Steuerwissen wird es auch in Zukunft nicht gehen.
Wenn ich mich in meiner Welt umschaue – Steuerberatung & E-Commerce – dann brauchen wir dringend einen Technologieschub, um das Wissen und die Erfahrung der wenigen E-Commerce-Steuerkanzleien zu hebeln, denn sie sind mehr als rar. Die meisten E-Commerce-Kanzleien verfügen über Wartelisten und nehmen Händler unter einer gewissen Umsatzgrenze nicht mehr auf.
Wie erkennt man als Unternehmer aber, ob ein Steuerberater die erforderliche Erfahrung hat. Ist die nicht gegeben, kann das dramatische Konsequenzen haben, wie ich euch gleich zeige.
Über 50.000 Steuerkanzleien in Deutschland: deutlich weniger als 1 Prozent kann E-Commerce
In der Zwischenzeit würde ich mich auf euere Erfahrungen bei der Steuerberatersuche freuen. Schreibt sie gerne direkt hier in die Kommentare.
Bildquelle von links: Prof. Römermann, Götz Kümmerle und Dr. Roger Gothmann (Foto modifiziert durch den ChatGPT-Ghiblifyer; also im Stil des legendären japanischen Animationsstudios Ghibli – unten folgt das Original)
Kürzlich hat mir unser Head of Marketing eine Analyse der Taxdoo-Blog-Leser gezeigt. Es war wirklich alles dabei: sämtliche Big4, mittelständische Steuerkanzleien, Marktbegleiter, große und kleine E-Commerce-Brands – und was mich persönlich besonders freut: die Finanzverwaltung.
Nach 9 Jahren Taxdoo Blog wird es aber langsam Zeit, die Dinge daran anzupassen, wie wir Inhalte mittlerweile konsumieren und wie wir im KI-Zeitalter lernen.
Fangen wir mit der Frage an: Was ist hier eigentlich die Ambition? Der Purpose? …
Wofür steht der Taxdoo Blog? Was ist unsere Ambition?
Natürlich werden jetzt einige sagen: Hier geht es um Content-Marketing. Dazu sage ich: Ja und Nein! Steuerrechtler lieben es, sich nicht festnageln zu lassen. Das meine ich hier aber nicht, denn hier im Blog wollen wir den Pudding an die Wand nageln, wie man in Hamburg sagt.
Der Kern unserer Ambition sind Partner auf Augenhöhe. Nur mit Menschen und Institutionen, die verstehen, wie wir ticken, können wir dem Steuerrecht und klassischen Prozessen dahinter die Schwere nehmen, die viele von euch als bleierne Bürokratie wahrnehmen. Dafür steht unser Bye Bye Bürokratie!
Das schaffen wir nur, wenn wir Unternehmen, Menschen, Institutionen smarter machen. Mit ihnen das Wissen, was wir jeden Tag direkt im Maschinenraum von Tax, Tech und E-Commerce mit ölverschmierten Händen uns erarbeiten, teilenund einordnen. Dieses Wissen wollen wir hier wieder verstärkt in den Fokus rücken.
Dabei meinen wir smart im Sinne von gezieltes Wissen und dadurch mehr Effizienz. KI gibt zwar mittlerweile fundierte Antworten. Aber, nur wer die richtigen Fragen im richtigen Kontext stellt, bekommt gute Antworten. Die Zukunft gestalten wir daher nicht mit Antworten – sondern mit klugen Fragen.
Das ist im Bereich Steuern und Buchhaltung umso wichtiger, denn das Finanzamt (klar bei Steuern!), die Banken (basieren ihre Entscheidungen auf Informationen aus der Buchhaltung) sowie Amazon und Co. (sperren Händler schnell bei Steuerverstößen) verstehen kein Spaß.
Natürlich können wir diese hochwertigen Inhalte nur deswegen erzeugen, weil wir durch unsere Arbeit und unsere Technologie Geld verdienen. Insofern sind aus meiner Sicht herausragender Content und Marketing immer zwei Seiten derselben Medaille.
Der Taxdoo Blog: Tax & Tech – in der Kombination liegt die Kraft
Ein gerechtes Steuerrecht, das von der Finanzverwaltung durchgesetzt wird und Steuerberatern, die auf Augenhöhe und Fundierung die Interessen ihrer Mandanten vertreten.
Ein simpler KI-Prompt hätte die Wissenslücke der beiden gefüllt, denn selbst das komplexeste Steuerwissen ist für generative KI verfügbar (siehe z.B. hier). Die beiden – Steuerberater und Betriebsprüfer – waren allerdings nicht smart genug, um danach zu fragen und es dann einzuordnen.
Wie geht es hier also weiter und was könnt ihr erwarten?
Zwei Dinge!
Ihr bekommt sicher auch schon Mails, die offenkundig durch eine KI geschrieben wurden. Ihr seht jeden Tag auf Social Media Inhalte und Bilder, die nicht handgemacht sind. Wer einfach nur einen Prompt in die Tasten haut und die Ergebnisse in die Welt posaunt, ist nicht smart. Mittlerweile blende ich sowas konsequent aus. Ich verspreche euch daher, dass jede Zeile, die ich hier schreibe, aus meiner Hand stammt und jeder Gedanke mir vorher mehrfach durch den Kopf gegangen ist. Natürlich hat auch mich KI deutlich effizienter gemacht (siehe z.B. hier) und KI ist trotz Hype die Effizienzmaschine für smarte Menschen, aber die Kommunikation überlasse ich der Matrix nicht.
Hier wird es zukünftig um Inhalte an der Schnittstelle von Tax und Tech gehen, die ihr nur hier finden werdet – wie z.B. Artikel wie diesen.
Meine persönliche Reise vom Finanzbeamten zum Tech-Unternehmer und Wandler zwischen den Welten (sechsköpfige Familie, Steuern, Technologie, Venture Capital, Start-ups, E-Commerce, …) sowie das Treffen spannender Persönlichkeiten (wie auf dem Bild oben und unten) werde ich dagegen zukünftig fast vollständig in meinen wöchentlichen Newsletter auf LinkedIn verlagern. Daher ab auf LinkedIn und den wöchentlichen Newsletter abonnieren!
Prof. Römermann, Götz Kümmerle und Dr. Roger Gothmann vor der ChatGPT-Ghiblifizierung
Weniger Updates, mehr Einordnung
Das Ziel war und ist immer: Menschen auf Augenhöhe ansprechen, die wissen wollen, was steuerlich und technologisch gerade passiert. Und was es bedeutet.
In Zeiten von KI und Automatisierung von Inhalten reicht es nicht mehr, Informationen nur zu sammeln. Entscheidend ist, sie einzuordnen – und das in einer Tiefe, die über generierte Prompt-Antworten hinausgeht.
Was denkt ihr darüber? Habe ich etwas übersehen? Packt mir euer Feedback gerne in die Kommentare hier. Auch gerne die finale Antwort auf die Frage: das oder der Blog?
Viele Grüße Roger
Disclaimer: Handgemacht mit ❤️ und 🧠 in Hamburg
Gestern habe ich euch gezeigt, dass ChatGPT Deep Research fast auf dem Level eines BIG4-Associate ist. Das klingt cool – aber was steckt wirklich dahinter, wenn wir im Steuerrecht davon sprechen? Wird jetzt plötzlich alles einfach? Braucht es jetzt kein Schweiß und kein Herzblut mehr?
Als ich gestern meinen ältesten Kids den Blogpost zum Lesen gab und wir diskutierten, ob das eine Auswirkung auf ihre Studienwahl haben sollte, waren wir uns schnell einig: Nein!
Spoiler: Künstliche Intelligenz ist die Superpower für Menschen, die ihrer Arbeit umsichtig, mit Herzblut, Passion und manchmal gegen den Strom nachgehen. Daher ist der Hype um Deep Research & Künstliche Intelligenz die perfekte Schnittstelle zwischen Schweiß, Herzblut & Technologie.
ChatGPT gefüttert mit der Taxdoo-DNA drückt es ähnlich aus.
Deep Research explained by Taxdoo-ChatGPT
Substanz schlägt Meinung – jedes Mal! Du sprichst von Deep Research? – Zeig mir die Quelle!
Steuerrecht ist kein Quiz mit Multiple Choice. Das ist Schach mit Paragrafen – und du als Unternehmer oder Steuerberater bist am Zug. Aber wer nur Springer zieht, ohne das Brett zu checken, wird verlieren – auch mit Laptop, Google und ChatGPT im Gepäck.
Ich seh zu viele, die sich die Welt schönreden. Ein BMF-Schreiben, ein neues Urteil kommt raus – und alle klatschen und sharen. Aber hast du’s wirklich gelesen? Hast du es eingeordnet? Oder nur den ersten Satz, dann weitergeschickt?
📚 Deep Research heißt:
Wir lesen alles. Auch die Fußnoten.
Wir graben Urteile aus, die andere vergessen haben.
Wir stellen Fragen, bis der Knoten platzt.
Und wenn’s kracht, liefern wir die Argumente, mit denen du bestehst.
Denn: Echte Klarheit kommt nicht aus einem Chat. Sie kommt aus harter Arbeit, aus Nerdtum und Liebe zum Detail. Steuerrecht ist kein Spiel – es ist ’ne Mission. Technologie ist unser Kraftverstärker. Und wir sind drin. Seit Jahren. Mit Haut, Haaren und Hirn.
Seit einigen Monaten nutze ich den Aufgabenmanager von ChatGPT (OpenAI), um wöchtentliche Routineaufgaben im Steuerrecht zu automatisieren. Seit einigen Tagen haben OpenAI, Google und andere Entwickler generativer KI ihre Modelle um den Modus Deep Research erweitert. Wir haben für euch getestet, was diese oftmals kostenpflichtigen Erweiterungen an der Schnittstelle von E-Commerce und Steuerrecht schon jetzt leisten können.
Im Folgenden seht ihr den Sachverhalt, den ChatGPT Deep Research begutachten soll sowie das entsprechende Gutachten inkl. einer finanziellen Risikoanalyse und der abschließenden Handlungsempfehlung. Es geht dabei um die Betriebsprüfung eines Onlinehändlers, die sehr teuer für ihn enden könnte.
Weil das Gutachten sehr ausführlich ist – bzw. gleich etwas mehr Text folgt – findet ihr mein Fazit dieses Mal vorab.
Mein Fazit und meine Handlungsempfehlungen zu Deep Research
Beginnen wir aber mit der Frage: Was ist Deep Research eigentlich? Am besten befragt man ChatGPT dazu direkt. Hier ist die Antwort.
Mein Deep Research Modus bedeutet, dass ich besonders gründlich und strukturiert recherchiere, um auch komplexe oder wenig dokumentierte Themen fundiert beantworten zu können. Dabei kombiniere ich mein eigenes Wissen mit aktuellen Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen im Web. Ziel ist es, nicht nur eine schnelle Antwort zu liefern, sondern eine, die inhaltlich wirklich sitzt – auch bei kniffligen Fragen.
Aktuell ködern OpenAI und Google ihre Nutzer mit 10 kostenlosen Deep-Research-Anfragen. Eine davon habe ich für euch genutzt.
Im folgenden Fall – der sich natürlich um den E-Commerce dreht – dauerte die Deep-Reaseach-Analyse gute 10 Minuten. Hier sind meine vier wichtigsten Erkenntnisse vorab.
1. Deep Research denkt weiter/mit: Serviceorientierung
Was mir sofort ins Auge stach und wenn das nicht intelligent ist! Das Modell fragt, ob ich das Gutachten – welches mir auch als PDF zum Download zur Verfügung gestellt wird – gleich mit dem Logo meiner Steuerkanzlei versehen will und/oder es noch weiter für den Mandanten (=andere Zielgruppe als ich) aufbereitet werden soll. Das ist bemerkenswert, denn das Modell verhält sich an dieser Stelle wie ein serviceorientierter Mitarbeiter, der mitdenkt.
Quelle: ChatGPT Deep Research
2. Qualität der steuerrechtlichen Begutachtung
Ich habe in den Sachverhalt, der bereits eine gewisse Komplexität mit sich bringt, zusätzlich einen rechtlichen Systembruch eingebaut: eine Reform des Umsatzsteuerrechts mittendrin, um zu prüfen, ob ChatGPT wirklich so fundiert recherchiert, wie es selbst behauptet.
Der Ergebnis ist aus meiner Sicht befriedigend. Ich sage euch auch warum.
ChatGPT hat den Systembruch erkannt. Ich würde behaupten, dass Steuerberater ohne Spezialisierung im Bereich E-Commerce & Umsatzsteuer das sehr wahrscheinlich nicht aus dem Stehgreif getan hätten.
Die finanzielle Risikoanalyse ist für den ersten Aufschlag nicht schlecht. Allerdings kommt das Modell zwischendurch an einen Punkt, an dem es mit Durchschnittswerten kalkuliert, obwohl ein klarer Sachverhalt vorgegeben ist.
Die Schwachstelle der Analyse ist hier die sogenannte Abwehrberatung: Ginge es nach ChatGPT würde man voll auf die Linie des Betriebsprüfers gehen und der Mandant müsste mehrere hunderttausend Euro an Steuern nachzahlen.
3. Man kann ChatGPT beim Denken zusehen.
Im Deep Research Modus kann man ChatGPT beim Nachdenken zusehen. Im Ergebnis sieht man dann, an welchen Stellen, welche Quellen eingebunden wurden. Bemerkenswert ist hier, dass der Aspekt der rückwirkenden Registrierung nicht Teil meines Promptes war. Dass man KMLZ als eine der führenden Umsatzsteuer-Kanzleien erkannt hat, ist ebenso bemerkenswert.
Quelle: ChatGPT Deep Research
4. Meine Einordnung und Handlungsempfehlung
Wenn ich mal auf eine größere Flughöhe gehe, muss ich sagen: Ich bin beeindruckt. Das, was ChatGPT Deep Research mir als erstes Ergebnis/Gutachten geliefert hat, entspricht m.E. dem Niveau eines Associates bei den Big 4 (ohne Erfahrung im E-Commerce) – allerdings innerhalb von 10 Minuten.
Jetzt bedarf es noch der menschlichen Erfahrung und des Wissens eine langjährigen Experten, um basierend auf diesem Ergebnis den entscheidenden nächsten Schritt zu gehen: die Abwehrberatung. Ich habe meine Sichtweise an dem entsprechenden kritischen Punkt dazu in das folgende Resultat gepackt.
Wir beginnen mit meinem Prompt und dem Sachverhalt, den ChatGPT daraus ableitet.
Wiem immer gilt: Was denkt Ihr? Auf Eure Kritik, Euer Feedback und Eure Erfahrungen in den Kommentaren freue ich mich sehr.
Mein Prompt: das Problem
Ich bin Steuerberater und betreue einen Onlinehändler, der am Amazon Pan EU Programm teilnimmt. Aktuell befinde ich mich im Schlussgespräch einer Betriebsprüfung. Leider hat der Mandant sich im Rahmen des Pan EU Programms nicht in den entsprechenden EU-Staaten steuerlich registriert. Auch wurden die innergemeinschaftlichen Verbringungen im Pan EU Kontext nicht in Deutschland im Rahmen der ZM gemeldet. Der Betriebsprüfer will diese daher der Umsatzsteuer unterwerfen. Der Prüfungszeitraum ist 2019 bis 2023. Pro Jahr will der Prüfer 250.000 Euro innergemeinschaftliche Verbringungen nachträglich versteuern.
Bitte erstelle mir ein Gutachten und ziehe ausschließlich Quellen von Steuer-E-Commerce-Experten heran. Wie hoch ist das finanzielle/steuerliche Risiko? Kann ich dieses heilen?
Ab hier hat ChatGPT Deep Research das Wort.
Sachverhalt zur Klärung für ChatGPT Deep Research
Ein deutscher Onlinehändler nutzt das Amazon Pan-EU-Programm, bei dem Amazon Waren des Händlers in verschiedenen europäischen Lagern verteilt. In den Jahren 2019 bis 2023 hat der Händler regelmäßig Waren aus Deutschland in Amazon-Läger in anderen EU-Staaten verbracht (u.a. Polen, Tschechien, Italien, Frankreich, Spanien, Belgien, Schweden). Diese innergemeinschaftlichen Verbringungen wurden jedoch nicht als solche gemeldet: Der Händler verfügte in den Zielländern über keine lokalen umsatzsteuerlichen Registrierungen (keine dortige USt-IdNr.) und reichte in Deutschland keine Zusammenfassenden Meldungen (ZM) über diese Warenverbringungen ein. Eine Umsatzsteuer wurde in den Empfängerländern bislang nicht entrichtet, sodass bisher keine Doppelbesteuerung vorliegt (aber faktisch auch keine Besteuerung dieser Vorgänge im Ausland erfolgt ist).
Im Rahmen einer deutschen Betriebsprüfung wurden diese Versäumnisse aufgedeckt. Der Prüfer will die Warenverbringungen nun in Deutschland nachträglich der Umsatzsteuer unterwerfen. Konkret beabsichtigt die Betriebsprüfung, pro Jahr ca. 250.000 € an Warenverbringungen als steuerpflichtige Umsätze in Deutschland zu behandeln, was für fünf Jahre insgesamt 1.250.000 € Bemessungsgrundlage entspricht. Daraus ergäbe sich eine zusätzliche deutsche Umsatzsteuer von ca. 237.500 € (19% von 1,25 Mio. €) zuzüglich Nachzahlungszinsen. Der Steuerberater des Händlers fragt an, welches steuerliche Risiko hier besteht und welche Handlungsoptionen es gibt, insbesondere:
Wie hoch ist das finanzielle Risiko (Steuernachzahlung inkl. Zinsen)?
Gibt es Heilungsmöglichkeiten, z.B. eine rückwirkende Registrierung im Ausland oder nachträgliche Meldungen, um die Steuerbefreiung doch noch zu erlangen?
Ist die deutsche Besteuerung der Warenverbringungen rechtmäßig, oder lässt sie sich durch Argumente (z.B. EU-Recht oder fehlende Doppelbesteuerung) abwenden?
Risikoanalyse durch ChatGPT Deep Research
Aus den obigen Erwägungen folgt, dass dem Mandanten eine erhebliche Steuernachzahlung in Deutschland droht. Die Betriebsprüfung will für 5 Jahre x 250.000 € = 1.250.000 € an Warenverbringungen der deutschen Umsatzsteuer unterwerfen. Daraus ergibt sich eine zusätzliche Umsatzsteuer von ca. 237.500 € (bei 19% USt). Dieses Ausmaß deckt sich mit Erfahrungen aus ähnlichen Fällen: Bei Pan-EU-Händlern, die keine Registrierungen im Ausland vornehmen, kommt es typischerweise zu rund 10% des Jahresumsatzes an Nachsteuer pro Jahr
Im Mandantenfall entspricht die Nachforderung etwa 47.500 € pro Jahr.
Zusätzlich fällt Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO an. Die Verzinsung beginnt 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Jahres. Bis 2018 betrug der Zinssatz 0,5% pro Monat (6% p.a.), ab 2019 wurde er auf 0,15% pro Monat (1,8% p.a.) gesenkt
Für die Jahre 2019–2023 bedeutet dies vereinfacht:
2019er Nachforderung ~47.500 € verzinst ab April 2021 bis zur Festsetzung (voraussichtlich 2025) mit 1,8% p.a., ca. 4 Jahre ≈ 3.000–4.000 € Zinsen.
2020er Nachforderung verzinst ab April 2022 für ca. 3 Jahre ≈ 2.500–3.000 €.
Jüngere Jahre entsprechend kürzer: insgesamt für 2019–2022 grob <10.000 € Zinsen. (Anmerkung: Wäre noch der alte Zinssatz von 6% anwendbar, lägen die Zinsen um ein Vielfaches höher. Die Neuregelung begrenzt das Zinsrisiko deutlich.)
Rechtliche bzw. umsatzsteuerliche Würdigung
Das Verbringen eigener Waren aus dem Inland in ein Lager in einem anderen EU-Mitgliedstaat durch den Unternehmer stellt umsatzsteuerlich eine innergemeinschaftliche Lieferung gleichgestellter Vorgang dar (§ 6a Abs.1 Satz 1 Nr.2, Abs.2 UStG). Man spricht hier von einer innergemeinschaftlichen Verbringung. Dieser Vorgang ist grundsätzlich steuerfrei (umsatzsteuerneutral), wenn alle Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung erfüllt sind
Im Bestimmungsland gilt korrespondierend ein innergemeinschaftlicher Erwerb, den der Unternehmer dort deklarieren muss, typischerweise mit gleichzeitiger Vorsteuerberechtigung, sodass der Erwerbsvorgang dort steuerlich neutral bleibt
Erst der eigentliche Verkauf an den Endkunden im Bestimmungsland unterliegt dann der Umsatzsteuer des Lieferlandes (Bestimmungslandprinzip), i.d.R. lokale Umsatzsteuer im Lagerland bei Lieferung an Privatkunden
Folglich entstehen bei korrekter Handhabung der Pan-EU-Lagerung in den Lagerländern Umsatzsteuerpflichten für die Endverkäufe, während die bloßen Umlagerungen innerhalb der EU umsatzsteuerfrei sind.
Allerdings ist diese Steuerbefreiung an strikte Bedingungen geknüpft. Schon vor 2020 verlangte das Gesetz bestimmte Nachweise (sog. Buch- und Belegnachweise, § 17a ff. UStDV), insbesondere den Nachweis der USt-IdNr. des Erwerbers im anderen EU-Staat und die Meldung in der ZM. In der Praxis bedeutet dies: Der Händler muss in jedem EU-Land, in das er Waren lagert, umsatzsteuerlich registriert sein und dort eine gültige USt-IdNr. besitzen
Zudem muss er jede Verbringung in seiner deutschen Umsatzsteuer-Voranmeldung (als innergemeinschaftliche Lieferung) und in der Zusammenfassenden Meldung an das BZSt deklarieren
Diese Meldungen dienen der EU-weiten Kontrolle, ob im Bestimmungsland ein entsprechender Erwerb gemeldet wurde
Fehlen Registrierung oder Meldungen, gerät die Steuerbefreiung der Verbringung in Gefahr.
Formelle Voraussetzungen und Änderungen ab 2020 (Quick Fixes)
Mit Wirkung zum 01.01.2020 wurden EU-weit die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen – und damit auch Verbringungen – gesetzlich verschärft (“Quick Fixes”). Seitdem sind zwei ehemals formelle Anforderungen ausdrücklich zu materiell-rechtlichen Voraussetzungen geworden
Verwendung einer USt-IdNr. im Bestimmungsland: Der Abnehmer (bei Verbringungen ist das der Unternehmer selbst im Zielland) muss gegenüber dem Lieferer eine gültige USt-IdNr. eines anderen Mitgliedstaats verwenden (§ 6a Abs.1 Nr.4 UStG). Ohne gültige USt-Id ist die Steuerfreiheit versagt. Insbesondere bei Amazon-PanEU heißt das: Der Händler muss im Zielland bereits zum Zeitpunkt der Verbringung über eine dortige USt-IdNr. verfügen. Eine nachträgliche Registrierung heilt die fehlende USt-IdNr. nach neuem Recht nicht. Das Erfordernis gilt als zwingende Voraussetzung (materiell-rechtlich) für die Steuerbefreiung.
Abgabe einer zutreffenden ZM: Der liefernde Unternehmer muss die Lieferung/Verbringung in der Zusammenfassenden Meldung richtig und fristgerecht deklarieren (§ 4 Nr.1 Buchst. b UStG). Eine nicht oder verspätet abgegebene ZM führt grundsätzlich zum Verlust der Steuerbefreiung. Nach den deutschen Verwaltungsanweisungen ist eine verspätete Berichtigung nur innerhalb enger Fristen möglich (innerhalb eines Monats nach Kenntnis eines Fehlers, rückwirkend für den Liefermonat). Ab 2020 ist die fristgerechte ZM-Abgabe ausdrücklich zwingende Voraussetzung für die Steuerfreiheit.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: 2019 fällt noch unter die alte Rechtslage (VAT-ID und ZM waren damals formell erforderlich, aber bei Fehlen konnte ggf. eine Heilung erfolgen), während 2020–2023 bereits dem neuen, verschärften Regime unterliegen.
Verletzung der Voraussetzungen im konkreten Fall
Im Sachverhalt hat der Händler gegen beide Kernvoraussetzungen verstoßen: Er hatte in keinem der Empfängerländer eine gültige USt-IdNr. zum Zeitpunkt der Verbringung (weil nicht registriert) und er hat die Vorgänge zudem nicht in Zusammenfassenden Meldungen gemeldet. Damit sind die Bedingungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Verbringungen formell nicht erfüllt.
Rechtslage 2019: Vor Einführung der Quick Fixes galt die fehlende USt-IdNr. des Erwerbers zwar als Buchnachweispflicht, aber nach höchstrichterlicher Rechtsprechung war sie keine materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung. Der EuGH (Rs. Plöckl, 2016) entschied ausdrücklich, dass die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Verbringung nicht allein wegen fehlender Angabe einer vom Bestimmungsland erteilten USt-IdNr. versagt werden darf, sofern keine Steuerhinterziehungsabsicht vorliegt, die Ware tatsächlich in einen anderen Mitgliedstaat gelangt ist und die übrigen materiellen Voraussetzungen erfüllt sind. Die USt-IdNr. diente insoweit „nur“ als Nachweis der Unternehmereigenschaft des Erwerbers, darf aber bei ansonsten klarer Sachlage nicht zur Versagung der Befreiung führen. Ebenso darf das Fehlen einer ZM-Eintragung allein nicht zur Steuerpflicht führen, wenn der Vorgang objektiv eine steuerfreie Lieferung darstellt und keine Betrugsgefahr besteht. – Im Jahr 2019 konnte der Händler sich also prinzipiell auf diese Rechtsprechung berufen: Die Waren sind ins EU-Ausland verbracht worden und der Endverkauf sollte dort der Umsatzbesteuerung unterliegen; eine steuerliche Mehrbelastung in Deutschland wäre nach EU-Recht nicht gerechtfertigt, solange kein Missbrauch vorliegt. Allerdings ist zu bedenken, dass im Plöckl-Fall der EuGH auch darauf abhob, dass „die übrigen materiellen Voraussetzungen“ erfüllt sein müssen. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass der Erwerb im anderen Mitgliedstaat der Besteuerung unterlieg. Im vorliegenden Fall hat der Händler in den Zielländern überhaupt keine Meldungen oder Steuerabführungen vorgenommen. Dadurch fehlt bislang die sicherstellende Besteuerung der Umsätze im Ausland. Die Finanzverwaltung könnte argumentieren, dass gerade nicht gewährleistet war, dass die Vorgänge der Erwerbsbesteuerung im Ausland unterliegen – ein Umstand, der die Steuerfreiheit gefährden kann. Dennoch stehen die Chancen gut, sich für 2019 auf die EuGH-Rechtsprechung zu berufen, sofern der Händler nun unverzüglich die Besteuerung in den Zielländern nachholt (siehe unten) und damit im Nachhinein sicherstellt, dass die Warenverbringungen keine unversteuerten „weißen Flecken“ bleiben. Dann lägen für 2019 die materiellen Voraussetzungen einer steuerfreien Verbringung im Ergebnis vor und ein deutsches Besteuern wäre unzulässig.
Rechtslage ab 2020: Für 2020 bis 2023 hat der Gesetzgeber – auch infolge der EuGH-Rechtsprechung – die Anforderungen verschärft. Seitdem gilt die fehlende USt-IdNr. im Bestimmungsland und/oder fehlende ZM als Verletzung einer materiellen Voraussetzung. Nach § 6a UStG i.V.m. § 4 Nr. 1b UStG ist die Lieferung in Deutschland steuerpflichtig, wenn der Unternehmer keine gültige ausländische USt-IdNr. des Abnehmers verwendet oder seiner ZM-Pflicht nicht nachkommt. Im konkreten Fall hat der Händler in diesen Jahren keine ausländische USt-Id gehabt – dieser Mangel kann nach neuem Recht nicht mehr geheilt werden; die USt-IdNr. hätte bereits zum Verbringungszeitpunkt vorliegen müssen. Auch die unterlassene ZM-Meldung führt nach geltendem Recht zum Verlust der Steuerbefreiung. Zwar hat das BMF in einem späteren Schreiben klargestellt, dass eine verspätete ZM-Abgabe die Steuerfreiheit nicht zwingend ausschließt. In der Praxis bedeutet dies, dass wenn die ZM zwar nicht fristgerecht, aber doch noch vor Entdeckung durch die Finanzbehörde berichtigt/abgegeben wird, die Steuerbefreiung weiterhin greifen kann. Im vorliegenden Fall jedoch wurden über Jahre gar keine ZM abgegeben, und die Entdeckung erfolgte erst durch die Betriebsprüfung. Eine nachträgliche Meldung kommt nun sehr spät und außerhalb der tolerierten Korrekturfristen. Die Finanzverwaltung ist daher nach aktueller Gesetzeslage berechtigt, die Steuerfreiheit für 2020–2023 zu versagen. Die Konsequenz ist eine Umsatzsteuerpflicht dieser Verbringungsumsätze in Deutschland, obwohl es sich wirtschaftlich um keine Endverbraucherlieferung handelt. Der Händler würde in Deutschland wie bei einer normalen steuerpflichtigen Inlandslieferung 19% Umsatzsteuer schulden, hat aber mangels Leistungsempfänger im Inland keinen Vorsteuerabzug – die Steuer wird zum echten Kostenfaktor. Genau diese Problematik ist bekannt: Wird ein innergemeinschaftliches Verbringen erst nachträglich erkannt, besitzen Unternehmer oft (wie hier) keine gültige USt-IdNr. im Zeitpunkt des Verbringens. Nach der derzeitigen Rechtslage wird das Verbringen dann in Deutschland steuerpflichtig, ohne Vorsteuerabzugsmöglichkeit. Die EU-Kommission hat die Mitgliedstaaten bereits 2019 aufgefordert, hierfür eine praktische Lösung zu finden, um unbillige Doppelbelastungen zu vermeiden. Deutschland hat jedoch bisher keine echte Abmilderung in solchen Fällen geschaffen. Somit ist aus rein deutscher Sicht die Rechtsposition der Betriebsprüfung für 2020 ff. formal korrekt: Die Voraussetzungen der Steuerbefreiung waren nicht erfüllt, weshalb die Verbringungen nachversteuert werden dürfen.
Hier spring kurz der Mensch Dr. Roger Gothmann ein: Das Resultat ab 2020, welches dem Mandanten sehr viel Geld kosten dürfte, kann man auch anders lösen. Ich referiere dazu auch regelmäßig für einige Steuerschulen. Hier ein kurzer Auszug.
…. hier übernimmt jetzt wieder ChatGPT.
Zwischenergebnis zur Rechtmäßigkeit der deutschen Besteuerung
Für 2020–2023 ist die geplante Besteuerung in Deutschland nach geltendem nationalem Recht rechtens. Die Nichteinhaltung der materiellen Voraussetzungen (ausländische USt-IdNr., ZM) schließt die Steuerfreiheit aus. Ein Gegenargument könnte allenfalls aus höherrangigem EU-Recht oder dem Grundsatz der Vermeidung von Doppelbesteuerung hergeleitet werden. Zwar fordert der Neutralitätsgrundsatz, dass echte Binnenmarktumsätze nicht doppelt belastet werden sollen
Im aktuellen Stadium liegt aber (noch) keine Doppelbesteuerung, sondern vielmehr eine Nicht-Besteuerung im Ausland vor. Die deutsche Finanzverwaltung hat daher ein nachvollziehbares Interesse, die Vorgänge zumindest im Inland zu besteuern, um Steuerverlust zu verhindern. Sollte der Händler allerdings nun freiwillig in den Zielländern die Umsatzsteuer entrichten, stünde eine Doppelbesteuerung im Raum, falls Deutschland ebenfalls besteuert. Hier könnte man argumentieren, dass die deutsche Steuerfestsetzung dann aus Billigkeitsgründen zu korrigieren wäre (§ 163 AO, Unbilligkeit einer Doppelbelastung). Ein Rechtsanspruch darauf lässt sich aus der aktuellen Gesetzeslage aber schwer ableiten – es wäre eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung. Gerichtliche Schritte könnten allenfalls unter Berufung auf den EuGH (Neutralitäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) versucht werden. Erfolgsaussichten sind ungewiss, da die Quick-Fixes-Regeln explizit die strikte Handhabung vorsehen. Für 2019 hingegen bietet die EuGH-Rechtsprechung (Fall Plöckl) eine gute Grundlage, die deutsche Besteuerung abzuwehren, sofern der Händler jetzt die rückständigen Verpflichtungen im EU-Ausland nachholt. Dann wären die materiellen Voraussetzungen ex post erfüllt und nach EU-Recht dürfte die Steuerfreiheit nicht allein wegen der vormals fehlenden USt-IdNr. versagt werden
Fazit: Die deutsche Nachversteuerung der Verbringungen ist für 2020–2023 formell gerechtfertigt. Für 2019 kann sie mit Verweis auf Unionsrecht angefochten werden. In jedem Fall sollte jedoch rasch eine Lösung angestrebt werden, um eine endgültige Doppelbesteuerung zu vermeiden und die Steuerlast so gering wie möglich zu halten.
Risiken (Steuernachzahlung und Zinsen)
Aus den obigen Erwägungen folgt, dass dem Mandanten eine erhebliche Steuernachzahlung in Deutschland droht. Die Betriebsprüfung will für 5 Jahre x 250.000 € = 1.250.000 € an Warenverbringungen der deutschen Umsatzsteuer unterwerfen. Daraus ergibt sich eine zusätzliche Umsatzsteuer von ca. 237.500 € (bei 19% USt). Dieses Ausmaß deckt sich mit Erfahrungen aus ähnlichen Fällen: Bei Pan-EU-Händlern, die keine Registrierungen im Ausland vornehmen, kommt es typischerweise zu rund 10% des Jahresumsatzes an Nachsteuer pro Jahr
Zusätzlich fällt Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO an. Die Verzinsung beginnt 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Jahres. Bis 2018 betrug der Zinssatz 0,5% pro Monat (6% p.a.), ab 2019 wurde er auf 0,15% pro Monat (1,8% p.a.) gesenkt
Für die Jahre 2019–2023 bedeutet dies vereinfacht:
2019er Nachforderung ~47.500 € verzinst ab April 2021 bis zur Festsetzung (voraussichtlich 2025) mit 1,8% p.a., ca. 4 Jahre ≈ 3.000–4.000 € Zinsen.
2020er Nachforderung verzinst ab April 2022 für ca. 3 Jahre ≈ 2.500–3.000 €.
Jüngere Jahre entsprechend kürzer: insgesamt für 2019–2022 grob <10.000 € Zinsen. (Anmerkung: Wäre noch der alte Zinssatz von 6% anwendbar, lägen die Zinsen um ein Vielfaches höher. Die Neuregelung begrenzt das Zinsrisiko deutlich.)
Hinzu kommt das Risiko von Säumniszuschlägen oder Bußgeldern: Das dauerhafte Nichtabgeben der ZM stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. Theoretisch kann je ZM ein Bußgeld bis zu 5.000 € verhängt werden. In der Praxis wird die Finanzbehörde bei freiwilliger Mitwirkung des Mandanten wohl kulant sein; dennoch ist ein gewisses Bußgeldrisiko vorhanden. Ebenfalls können in den Auslandsländern bei nachträglicher Registrierung Verspätungszuschläge, Zinsen oder Strafgelder anfallen, da der Mandant dort jahrelang seinen steuerlichen Pflichten nicht nachgekommen ist
Beispielsweise werden in einigen Ländern hohe Verzugszinsen (Polen ca. 8%, Tschechien ~14% p.a.) und Strafgebühren fällig, wenn man sich rückwirkend registriert
Diese ausländischen Risiken sind nicht unmittelbar Teil der Fragestellung, sollten aber in der Gesamtrisikobetrachtung berücksichtigt werden, da der Mandant eine Nachregistrierung plant.
Quantifizierung: In Summe beläuft sich das steuerliche Risiko in Deutschland auf rund 237.500 € Nachsteuer plus ca. 10.000 € Zinsen, also etwa 247.500 €. Etwaige deutsche Bußgelder könnten das noch leicht erhöhen. Zusätzlich droht im Ausland die Nachzahlung der dortigen Umsatzsteuer auf die Endverkäufe (die bisher mangels Registrierung nicht abgeführt wurde) – dieser Betrag könnte je nach Umsatz in den Ländern beträchtlich sein, allerdings wäre das keine Doppel-, sondern die eigentlich geschuldete Steuer im Bestimmungsland.
Nicht zu vernachlässigen ist auch das Haftungs- und Strafbarkeitsrisiko: Während die Anfrage ausdrücklich von fehlender Doppelbesteuerung (also keiner bewussten Doppelmeldung) und einer nachträglichen Registrierung spricht – was auf Kooperationsbereitschaft schließen lässt – hätten Finanzbehörden grundsätzlich bei jahrelanger Nichtanmeldung auch den Verdacht der Steuerhinterziehung erörtern können. Im gegebenen Fall scheint aber von einer Selbstnachholung auszugehen zu sein, sodass wir dieses Risiko hier nur der Vollständigkeit halber erwähnen. Wichtig ist, durch aktive Korrekturhandlungen jetzt zu zeigen, dass keine Absicht der Steuerverkürzung bestand, um ggf. Strafbefreiungstatbestände (Selbstanzeige) nutzen zu können, falls relevant.
Handlungsempfehlung
Angesichts der dargelegten Rechtslage und Risiken empfehlen wir ein koordiniertes Vorgehen, um den Schaden zu begrenzen und Rechtssicherheit herzustellen:
1. Nachträgliche Registrierung und Erklärung in den EU-Ländern (Bestimmungsstaaten): Der Mandant sollte unverzüglich in allen relevanten Lager-Ländern (Polen, Tschechien, Italien, Frankreich, Spanien, Belgien, Schweden – ggf. weitere, falls Amazon zwischenlagert) eine umsatzsteuerliche Registrierung mit Rückwirkung beantragen. In vielen Ländern ist dies möglich, wenn auch mit Aufwand verbunden
Sobald die USt-IdNr. vorliegt (oft wird sie mit Gültigkeit ab dem Beginn der Tätigkeit erteilt), sind dort sämtliche innergemeinschaftlichen Erwerbe und anschließenden Lieferungen nachzuerklären. Praktisch bedeutet das: Für 2019–2023 sind in jedem Land Umsatzsteuererklärungen bzw. -voranmeldungen einzureichen, in denen die innergemeinschaftlichen Erwerbe mit der Bemessungsgrundlage der verbrachten Waren deklariert werden (meist mit gleichzeitigem Vorsteuerabzug, sofern keine Verwendung für steuerfreie Umsätze erfolgte)
Ebenso müssen die Verkäufe an Endkunden von den ausländischen Lagern aus als steuerpflichtige lokale Lieferungen nachträglich gemeldet und die entsprechende Umsatzsteuer entrichtet werden. Hierbei ist mit Nachzahlungszinsen und ggf. Säumnisstrafe je Land zu rechnen. Es empfiehlt sich, lokale Steuerberater oder spezialisierte Dienstleister (z.B. Taxdoo oder ähnliche VAT Compliance Anbieter) einzuschalten, um diesen Prozess effizient und fristgerecht zu bewältigen. Durch die rückwirkende Registrierung erlangt der Mandant USt-IdNrn., die formal ab dem jeweiligen Beginn der Tätigkeit gültig sind – damit kann er zumindest gegenüber den Finanzbehörden argumentieren, nunmehr die früher fehlenden USt-IdNr. nachzuliefern (auch wenn diese materiell erst jetzt erteilt wurden).
2. Nachholung der Meldepflichten in Deutschland: Parallel zur Registrierung im Ausland sollte der Mandant in Deutschland Korrekturen seiner Umsatzsteuer-Erklärungen für 2019–2023 vornehmen. Konkret sollten die bislang nicht deklarierten Verbringungen nachträglich als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nr.1b UStG) in den entsprechenden Voranmeldungen/Jahreserklärungen aufgeführt werden. Ebenso sollten Zusammenfassende Meldungen für die betroffenen Zeiträume nachgereicht bzw. korrigiert werden. Zwar sind die Fristen für eine fristwahrende ZM längst verstrichen; dennoch zeigt die freiwillige Nachmeldung Goodwill und Kooperationsbereitschaft. Zudem ist die Nachmeldung wichtig, um einen konsistenten Datensatz EU-weit herzustellen (die deutschen ZM-Daten werden mit den Erwerbsmeldungen der anderen Länder abgeglichen). Eventuell muss die ZM-Buchung manuell mit dem Bundeszentralamt für Steuern abgestimmt werden, da das elektronische System so alte Meldungen nicht ohne Weiteres annimmt. Hierbei kann man sich auf die neue BMF-Linie berufen, wonach eine verspätete ZM nicht automatisch zum Verlust der Steuerfreiheit führen soll
3. Kommunikation mit der deutschen Finanzbehörde: Mit den vorbereiteten Unterlagen (ausländische USt-IdNrn., Nachmeldungen und Zahlungsnachweise aus dem Ausland) sollte der Steuerberater proaktiv auf die Betriebsprüfung bzw. das Finanzamt zugehen. Ziel muss sein, eine Doppelbesteuerung der Vorgänge zu verhindern. Es sollte dargelegt werden, dass der Mandant nun alle erforderlichen Schritte unternimmt, um die Umsätze in den Bestimmungsländern der Besteuerung zuzuführen. Damit ist der eigentliche Sinn der Vorschriften erfüllt – nämlich sicherzustellen, dass die Warenbewegungen nicht unversteuert bleiben. Unter Hinweis auf die EuGH-Rechtsprechung für 2019 und auf die Aufforderung der EU-Kommission, pragmatische Lösungen für nachträglich erkannte Verbringungen zu finden, sollte beantragt werden, auf die deutsche Nachversteuerung zu verzichten, sobald die Besteuerung im Ausland nachgewiesen ist. Dies kann juristisch über eine Änderung oder Aufhebung der deutschen Steuerfestsetzung erfolgen. Denkbar ist eine Berufung auf § 163 AO (Billigkeit): Die gleichzeitige Besteuerung in zwei Mitgliedstaaten wäre unbillig und dem EU-Geist abträglich. Zwar gibt es keinen Automatismus hierfür, doch zeigt die freiwillige Nacherfüllung im Ausland, dass keine Bereicherungsabsicht bestand. Für 2019 sollte dezidiert auf das EuGH-Urteil Plöckl verwiesen werden, das sehr klar stellt, dass formale Mängel (fehlende USt-IdNr.) nicht zum Versagen der Steuerbefreiung führen dürfen, wenn der Vorgang echt und ohne Hinterziehung stattgefunden hat
4. Zukünftige Compliance sicherstellen: Unabhängig von der Vergangenheitsaufarbeitung muss der Mandant seine künftigen Abläufe an die umsatzsteuerlichen Anforderungen anpassen. Bei fortgesetzter Nutzung des Pan-EU-Programms bedeutet dies: Umsatzsteuerliche Registrierung in jedem (neuen) Lagerland vor der ersten Warenverbringung dorthin, laufende Zusammenfassende Meldungen jeder Verbringung aus Deutschland, Erstellung von Pro-forma-Rechnungen für jeden Warentransfer (als Belegnachweis)
146 Milliarden Euro.
So hoch wird der Schaden geschätzt, den Cum-Ex-Geschäfte europaweit verursacht haben. Ein Paradebeispiel für bandenmäßigen Steuerbetrug – ermöglicht durch juristische Grauzonen, politische Ignoranz, einen regulatorischen Tiefschlaf – und natürlich Gier (die es immer gab und geben wird).
Jetzt hat das ZDF daraus eine Serie gemacht: „Die Affäre Cum-Ex“. Und ja – ich war skeptisch. Steuerbetrug als Primetime-Stoff? Meine beiden Ältesten und ich habe jetzt die ersten 4 Folgen durch.
Wir sprechen von geachteten Banken, ehrbaren Kaufleuten und Investoren. (Zitat aus der Folge 3, Staffel 1)
Die Serie trifft einen Nerv und ist handwerklich sehr gut gemacht. Mein Zwischenfazit: unterhaltsam, fachlich sauber recherchiert und fundiert sowie wachrüttelnd. Ich kann die Serie sehr empfehlen.
🎬 Sie erklärt komplexe Finanzkonstrukte und die Steuergestaltung dahinter verständlich.
🎭 Sie zeigt, wie skrupellos „Steueroptimierer“ vorgegangen sind – und wie wenig Kontrolle der Staat dagegen hatte.
🔥 Und sie legt offen, dass es weniger an fehlendem Wissen, sondern an fehlendem Willen lag (Ihr kennt mein Mantra dazu).
Für alle, die verstehen wollen, wie schwach unser Steuersystem war (und in Teilen noch ist) – anschauen!
Die nächste große Mehrwertsteuerreform im E-Commerce steht an. Das ist für mich wie Weihnachten, Ostern und der Release eines neuen Albums der Red Hot Chili Peppers an einem Tag ❤️ Daher war das Interview mit den OnlinehändlerNews schon ein großes Stück Vorfreude.
Natürlich finde ich nicht alles klasse. Das bringe ich auch zur Sprache. Ihr könnt das gesamte Interviewhier lesen.
Wichtig für euch als Onlinehändler und Steuerberater mit Fokus E-Commerce ist, dass die Reform zwar bereits zum 1.1.2027 beginnen wird und dann bis 2032 abgeschlossen sein soll. Für euch wird die wichtigste Phase aber die ab dem 1.7.2028 sein. Spätestens dann müsst ihr eure Prozesse – und vor allem eure steuerliche Datenstruktur/-strategie an die Anforderungen der Reform angepasst haben.
Mehrwertsteuerreform 2028: schon jetzt die Weichen stellen
Mir sind drei Dinge wichtig, die ich hier hervorheben will und für die wir in den Unternehmen, den Steuerkanzleien und den TaxTech-Anbietern (hört, hört!) schon jetzt die Weichen stellen müssen.
Die steuerliche Deutungshoheit über die eigenen Daten – jede einzelne Transaktion – wird ab Mitte 2028, wenn die Reform beginnt, nochmals wichtiger. Aktuell arbeiten viele Händler und Steuerberater mit stark verdichteten Daten.
Ab Mitte 2028 wird es voraussichtlich 4 One-Stop-Shops (4 OSSis: ich darf das sagen) geben. Also mindestens vier Besondere Besteuerungsverfahren: für jede im E-Commerce relevante steuerliche cross-border Transaktionsart einen OSS. Daher ist der erste Punkt so wichtig und entscheidend.
Der angedachte (von 2030 bis 2032) Austausch sämtlicher Transaktionsdaten zwischen Unternehmen, Marktplätzen und der Finanzverwaltung in quasi-Echtzeit wäre ein Traum – ist aber realistisch betrachtet das mit weitem Abstand größte Tech-Projekt für die Finanzverwaltung ever: hohe Komplexität und gewaltige Datenmassen. Ich drücke uns dazu die Daumen, weil es ein Quantensprung wäre, aber ….
Ich freue mich auf eure Gedanken, euer Feedback und auch auf eure Kritik hier in den Kommentaren oder auf LinkedIn.
HAUFE hat jüngst eine Anleitung dazu veröffentlicht, wie Steuerkanzleien KI-Assistenten bzw. KI-Agenten in ihren Alltag und in die Steuerberatung integrieren können (hier verlinkt). Das klingt auf den ersten Blick sinnvoll und zukunftsweisend. Doch ist der dort beschriebene Ansatz wirklich der richtige Weg?
Meine Perspektive zu KI Assistenten in der Steuerberatung
KI kann und wird Steuerkanzleien entlasten. Ich selbst profitiere schon sehr davon, indem ich den OpenAI-Aufgabenmanager sämtliche Rechtsprechung und Rechtsentwicklung für mich überwachen und in meine E-Commerce-Welt einordnen lasse.
Aber was wir aktuell auf Kanzleiebene sehen, ist vor allem die Integration von KI in bestehende Prozesse – und nicht die erforderliche Anpassung der Prozesse an eine KI-gestützte Zukunft. Wir zäumen das Pferd also von hinten auf.
Warum?
Automatisierung auf Knopfdruck? Fehlanzeige!
Steuerberater arbeiten mit einem regelbasierten System, das wenig Spielraum für Fehler lässt. Ein KI-Tool, das Steuerbescheide aufbereitet oder Eingangsrechnungen klassifiziert, wie es im HAUFE-Artikel vorgeschlagen wird, mag nett sein – aber löst das wirklich die strukturellen Herausforderungen der Branche?
Die eigentliche Frage ist: Wer übernimmt die Verantwortung für die KI-Assistenten?
Diese zentrale Frage beantwortet der HAUFE-Artikel nicht, dabei ist sie der Dreh- und Angelpunkt jeder möglichen Effizienzsteigerung. Warum?
KI-Assistenten und KI-Agenten können unterstützen, aber sie können keine Steuerberatung leisten (Stichwort: Vorbehaltstätigkeiten = Aufgaben, die nur Steuerberater übernehmen dürfen). Wer haftet für fehlerhafte KI-Auskünfte? Wie gehen wir mit Halluzinationen um? Ein Assistent, der plausible, aber falsche Steuerantworten generiert, hilft niemandem – außer einem Betriebsprüfer auf der Suche nach einem Mehrergebnis.
Effizienz ohne Strategie?
Viele Empfehlungen für den Einsatz von KI in Kanzleien greifen meines Erachtens noch zu kurz. Statt Stückwerk-Lösungen brauchen wir ein ganzheitliches Konzept: Wo ergänzt KI den Menschen wirklich, wo hebelt sie dessen Effizienz (Wer misst diese Effizienz aktuell eigentlich exakt, wenn wir sie doch hebeln wollen?) – und wo bleibt menschliche Expertise unverzichtbar?
Was heißt das auch für die Ausbildung und das Mindset von Steuerexperten sowie ihre Fehlertoleranz?
Eure Meinung?
Wo seht ihr das größte Potenzial von KI in der Steuerberatung? Und wo liegen die Fallstricke? Wo setzt ihr KI bereits erfolgreich ein? Ich bin gespannt auf eure Gedanken hier in den Kommentaren.
Vorab: Ich habe selten über die verschiedensten Kanäle so viel Feedback zu einem Artikel bekommen wie zu diesem, was verständlich ist, da hier das Vertrauen in die Verwaltung und die steuerberatenden Berufe erschüttert wird. Daraus wird noch das eine oder andere Interview mit Steuerberatern und Prüfern folgen. Eine Sache möchte hier noch klarstellen: Wendet man den Begriff Rechtsbeugung lehrbuchmäßig an, dann wäre hier ein Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt, da nur Richter oder Staatsanwälte Rechtsbeugung begehen können. Bitte versteht diesen Begriff daher hier im übertragenen Sinne.
Für viele Onlinehändler ist die Suche nach einem geeigneten E-Commerce-Steuerberater eine Odyssee. Häufig läuft das Ganze nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Dabei trägt die Kosten für die Errors in der Regel der Onlinehändler, wie der folgende Auszug einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung zeigt.
Die Konsequenzen, wenn Steuerberater und Finanzamt keine Expertise im E-Commerce haben
Dieser folgende Auszug einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung wurde heute in der TeCIT-Gruppe diskutiert. Er verdeutlicht m.E., warum wir u.a. Branchenspezialisierungen in der Steuerberatung brauchen – aber auch Spezialisierungen aufseiten der Finanzverwaltung.
Was ist hier passiert?
Die Steuerkanzlei hatte die Amazon-Umsätze des Mandanten, die aus Deutschland in andere EU-Staaten gingen, korrekterweise als nicht-steuerbar in Deutschland erfasst.
Leider hatte man übersehen, dass diese Umsätze über den One-Stop-Shop (OSS) in den anderen EU-Staaten gemeldet werden müssen, da die Umsatzsteuer dort anfällt (§ 3c Abs. 1 UStG): als innergemeinschaftliche Fernverkäufe.
Da eine Registrierung für den OSS nicht erfolgt war, einigten sich der Prüfer und der Steuerberater einvernehmlich (!) darauf, diese Umsätze in Deutschland zu versteuern. (Puh!)
Das ist natürlich grundfalsch, denn die anderen EU-Staaten warten weiterhin auf ihre Umsatzsteuer. Dem Onlinehändler drohen also Steuerstrafverfahren in diversen EU-Staaten und auch eine Sperre auf Amazon.
Ich will hier nicht mit dem Finger auf andere zeigen (denn dabei weisen immer drei Finger auf einen selbst); ich will aber verhindern, dass Unternehmen im E-Commerce in ähnliche Fallen laufen.
An § 3c Abs. 1 UStG können der Betriebsprüfer und der Steuerberater nicht rütteln. Vielmehr – ja, das ist krass – machen sich beide der Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Onlinehändlers strafbar. Sollten die betroffenen EU-Staaten, die jetzt ihre Umsatzsteuer nicht erhalten, einen Datenabgleich über Amazon vornehmen, käme das sehr schnell ans Tageslicht.
Richtig wäre hier gewesen: Die Steuerbarkeit der Umsätze weiterhin im EU-Ausland zu belassen und diese Umsätze nachzumelden – über lokale Registrierungen, da die Frist für die OSS-Registrierung abgelaufen war.
Im Zweifel wird der Onlinehändler jetzt also doppelt Umsatzsteuer zahlen müssen. Das gibt die Marge der meisten Unternehmen nicht her.
Hattet Ihr ähnliche Probleme? Berichtet hier gerne in den Kommentaren oder auf LinkedIn davon!