Verdacht auf Steuerhinterziehung: Amazon droht in Italien eine Nachzahlung von 3 Milliarden Euro. In Deutschland drohen ähnliche Ermittlungen (noch) nicht.

💥 Steuerbombe für Amazon: Ermittlungen in Italien könnten Amazon wegen Steuerhinterziehung 3 Milliarden Euro kosten! 💥 Hier sieht man, wie konsequent Italien im Gegensatz zu Deutschland ist.
Die italienischen Behörden ermitteln gegen Amazon wegen mutmaßlichem Steuerbetrug im Onlinehandel. Im Fokus stehen drei Manager sowie die in Luxemburg ansässige Europa-Einheit von Amazon. Der Vorwurf: Amazon soll es ermöglicht haben, dass Nicht-EU-Händler – vor allem aus der VR China – ihre Waren in Italien verkaufen, ohne die fällige Mehrwertsteuer abzuführen (mehr dazu hier).
📌 Die Schlüssel-Fakten:
🔹 Zeitraum der Ermittlungen: 2019–2021
🔹 Potenzielle Steuerforderung: bis zu 3 Milliarden Euro (inkl. Strafen & Zinsen: in Italien sind bis zu 200 Prozent Strafzuschläge möglich)
🔹 Grundlage: In Italien haftet eine Plattform für die nicht gezahlte Umsatzsteuer der Händler, die sie nutzt. (In Deutschland gilt das übrigens auch gem. § 25e UStG. Aber niemanden in der Finanzverwaltung und in der Politik scheint das zu interessieren.)
Diese Entwicklungen zeigen erneut, wie sehr Steuerbehörden europaweit gegen Steuervermeidung im E-Commerce vorgehen – im Gegensatz zu Deutschland.
Erst im Juli 2024 wurde in einem separaten Verfahren bereits 121 Millionen Euro von einer italienischen Amazon-Tochter beschlagnahmt.
Plattformen wie Amazon stehen seit Jahren zunehmend in der Pflicht, die steuerliche Compliance ihrer Händler sicherzustellen. Die Zeiten, in denen Marktplätze sich hinter ihrer Vermittlerrolle verstecken konnten, sind vorbei. Steuertransparenz und Sorgfaltspflichten werden immer wichtiger – nicht nur für die Unternehmen selbst, sondern auch für deren Kunden und Geschäftspartner.
Steuerhinterziehung bei Amazon auch in Deutschland? Nicht auszuschließen. Konsequenzen?
… bislang fast gleich null!
Kürzlich durfte ich in einem Gastbeitrag für die WELT darlegen, dass Deutschland für den systematischen Steuerbetrug auf den elektronischen Plattformen in keinster Weise gerüstet ist. Die Daten liegen seit Jahren auf dem Silbertablett, denn gem. § 22f UStG muss jede Plattform jede Transaktion aufzeichnen, die in Deutschland entweder beginnt oder endet – und auf Nachfrage den Finanzbehörden vorlegen.
Leide existiert diese Nachfrage so gut wie nicht und der Datenberg wächst. Während Italien also über 3 Mrd. Euro mit Amazon verhandelt, haben wir bislang 1.640 Euro und 50 Cent eingenommen (siehe hier: unterer Teil des Artikels).
Was machen die EU und Deutschland gegen derartig aggressiven Steuerbetrug im E-Commerce?
Vor wenigen Tagen ging durch die Gazetten, dass die EU-Kommission eine härtere Gangart im E-Commerce einschlagen will, um Geschäftspraktiken von Onlinehändlern wie Temu und Shein besser in den Griff zu bekommen (siehe hier).
Gerade aus Deutschland wurde diese Initiative gelobt. Aber genau vor Deutschland haben die Online-Handelsriesen dieser Welt keinen Respekt – egal ob aus den USA wie Amazon oder aus China wie Temu. Denn wenn Deutschland etwas in den Griff bekommen will, dann beginnt alles mit einem (neuen) Amt: Im Dezember 2023 wurde unter medialem Getöse das sogenannte Finanzamt Berlin International eingeweiht.
In Abstimmung mit den anderen Bundesländern ist Berlin nun für viele ausländische Unternehmen zuständig, die in Deutschland Handel treiben und umsatzsteuerpflichtig sind, aber hier keinen Sitz haben. Das betrifft vor allem Onlinehändler
Das klingt wie ein guter Plan – und das wäre es auch, wenn Zentralisierung und konzertiertes Handeln eine deutsche Sache wären. Denn das neue Amt hat einen Vorgänger, zu dessen Arbeit der Rechnungshof Berlin kürzlich seinen Bericht vorlegte. Bis Dezember 2023 war das Finanzamt Neukölln für die Umsatzbesteuerung von Unternehmen aus über 100 Drittländern, die nicht der EU angehören, zuständig – darunter China. Der Rechnungshofbericht hat ein eigenes Kapitel mit der Überschrift: Steuer(aus)fälle bei ausländischen Onlinehändlern (sic!).
Denn Steuerfälle sind Steuerausfälle, wenn es sich um E-Commerce aus Nicht-EU-Staaten handelt. Das liegt nicht an der Sache an sich, sondern an der Art des Umgangs der Steuerbehörde damit: Hunderte von neuen ausländischen Unternehmen meldeten sich wöchentlich beim Finanzamt an, damit sie am Onlinehandel in Deutschland teilnehmen können.
Wer Steuerdaten manuell abtippt und überträgt, hat keine Zeit und Kraft mehr, um Steuersünder zu jagen
Der Rechnungshof prüfte das Verfahren der Neuaufnahme dieser Unternehmen in Berlin bei 100 zufällig ausgewählten Steuerfällen. Bei 89 der 100 geprüften Neuaufnahmen gab es Mehrfachbeanstandungen. Fast alle ausländischen Onlinehändler reichten dem Finanzamt Neukölln den ausgefüllten und unterschriebenen Fragebogen zur steuerlichen Erfassung elektronisch per E-Mail ein. Sämtliche eingehenden Anträge auf steuerliche Erfassung wurden von der Poststelle des Finanzamts Neukölln ausgedruckt (sic!) und in Papierform der Neuaufnahmestelle zur Verfügung gestellt.
Sämtliche Informationen aus den Fragebögen zur steuerlichen Erfassung hatten die Dienstkräfte manuell in einer Datenbank erfasst und manuell in das Steuerkonto übertragen. Mittlerweile sind fast 140.000 Onlinehändler aus der VR China in Berlin steuerlich erfasst. Allein im 1. Halbjahr 2021 sind laut Rechnungshof rechnerisch Umsatzsteuern bei ausländischen Onlinehändlern von bis zu 218 Mio. € zu niedrig festgesetzt und gezahlt worden. Da der Onlinehandel während der Lockdowns rasant wuchs, sind es rund 500 Mio. € pro Jahr zu wenig in der Staatskasse. Solange deutsche Finanz- und Zollbehörden so arbeiten, müssen sich Amazon, Temu & Co. keine Sorgen machen – ganz egal, was die EU beschließt oder nicht.
Was denkt Ihr darüber? Diskutiert gerne hier in den Kommentaren oder auf LinkedIn mit.
4 Kommentare
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Andre R.
Auch noch verschrieben 🙁 , daher noch einmal:
Hallo Herr Gothmann,
Immer wieder interessante Artikel und Berichte aus der Wirklichkeit. Habe selbst einige Zeit mit Fernverkauf ausl. Händler seinerzeit zu tun gehabt. Woher aber kommt die Erkenntnis des R.hofes über die Steuerausfälle? In meiner Tätigkeit für den E.-Com. habe ich bei hunderten Händlern, auch aus Fernost, nie den Willen oder die Absicht gesehen, da irgendwas verkürzen etc. zu wollen. Tatsächlich ist es m. E. auch heute eher so, dass die Regelungen im Fernverkauf echt mühsam sind, zu Fehlschlüssen führen und in einer Reihe von Fällen eigentlich keine Lösungen für die Praxis bieten. Das führt vielleicht eher zu Steuerausfällen als fehlender oder “falscher “Wille.
Beste Grüsse aus dem Ruhrpott
Dr. Roger Gothmann
Moin aus Hamburg,
vielen Dank für das Feedback! Das freut und motiviert uns sehr.
Zu Ihrer Frage: Aufgrund einer Gesetzesänderung zum 1.7.2021 waren die Marktplätze verpflichtet, ab diesem Stichtag die Umsatzsteuer für Händler aus der VR China und anderen Drittstaaten einzubehalten und abzuführen. Zu diesem Stichtag stieg das Steuervolumen sprunghaft an – um mehrere hundert Millionen Euro. So konnte man sehr sicher das Ausmaß des Betrugs bestimmen. Ein großer Teil der Händler hatte zudem vorher Umsatzsteuererklärungen abgegeben – immer mit 0 Euro Umsatz. Ich gehe daher nicht von Unwissenheit, sondern ganz klar von Betrug und Vorsatz aus.
Herzliche Grüße
Roger Gothmann
Andre R.
Danke für die schnelle Klarstellung- dann ist das offenkundig. Bin froh, dass wir nie Nuller-Erklärungen eingereicht haben/einreichen mussten! Das ist dann wirklich heftig, auch für den StB..
Herzliche Grüße zurück
Dr. Roger Gothmann
Man muss sich auch fragen: Warum hat das Finanzamt in Berlin diese Nuller-Erklärungen nie hinterfragt? Das war ganz klar ein offenkundiges Behördenversagen.
Beste Grüße
Roger Gothmann