Prognose: Die Buchhaltung in den Steuerkanzleien wird sich grundlegend ändern? Prognose!?

An die Leser in und aus den Steuerkanzleien: Diese Prognose aus der Headline habt ihr die letzten zehn Jahre mindestens im Wochentakt gehört. Genau das ist das Problem mit Prognosen.
Prognosen sind oft ungenau – inhaltlich und/oder den Zeitraum betreffend. Aber selbst, wenn sie diesbezüglich korrekt sind, nutzen sie wenig, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Am Wochenende habe ich einen Artikel dazu in der Financial Times gelesen, den ich gerne mit euch teilen möchte – inkl. konkreter Ableitungen, die wir daraus ziehen können – weil ich regelmäßig sehe, dass wir Prognosen und die Gedankengeber dahinter entweder überhöhen oder verdammen und falsche Schlüsse daraus ableiten.
Prognose-Paradox: Alle wissen, was kommt, keiner handelt!
Das sogenannte Prognose-Paradox zeigt, dass der Nutzen einer Vorhersage nicht in ihrer Genauigkeit liegt, sondern darin, ob sie zu sinnvollen Handlungen führt.
Ein Beispiel dafür ist eine wissenschaftliche Konferenz im Jahr 2019: Ende 2019 wurde eine Häufung atypischer Lungenentzündungen in Wuhan, China, bekannt. Ein renommierter Wissenschaftler warnte damals vor der Gefahr einer globalen Pandemie. Doch die Zuhörer ignorierten die Warnung. Es wurden keine präventiven Maßnahmen ergriffen. Der Rest ist Geschichte. Rückblickend war die Prognose zwar präzise, jedoch völlig nutzlos.
Ein weiteres Beispiel ist die Katastrophe in New Orleans durch Hurrikan Katrina im Jahr 2005. Bereits ein Jahr zuvor hatten Experten exakt vor diesem Szenario gewarnt. Trotzdem unternahmen Behörden auf Stadt-, Bundesstaat- und nationaler Ebene kaum etwas, um die Stadt auf einen solchen Sturm vorzubereiten. Dies zeigt, dass sogar konkrete und präzise Vorhersagen wirkungslos bleiben, wenn keine praktischen Schritte erfolgen.
Im Gegensatz dazu hat das Brigham and Women’s Hospital in Boston bewiesen, dass Vorbereitung auch ohne spezifische Vorhersage entscheidend ist. Durch regelmäßige Notfallübungen waren sie bereit, als 2013 beim Boston-Marathon Bomben explodierten. Diese proaktive Vorbereitung ist eine wertvolle Lektion.
Wie mit Unsicherheit und Ungewissheit umgehen?
Ein anderer Ansatz, um mit Ungewissheit und Unsicherheit – also der Zukunft – umzugehen, ist der sogenannte Prä-Mortem-Ansatz, entwickelt vom Psychologen Gary Klein. Teams bzw. Unternehmen analysieren dabei ein hypothetisches Scheitern – etwa eines zukünftigen Projekts – und identifizieren mögliche Gründe dafür. Studien haben gezeigt, dass dieser Ansatz Unternehmen hilft, detailliertere und vielfältigere Szenarien zu entwickeln, um Probleme bzw. die Wahrscheinlichkeit für das finale Scheitern eines Projektes zu verringern.
Ein weiteres Beispiel ist das Experiment von Barbara Mellers, Philip Tetlock und Hal Arkes. Sie organisierten ein langes Prognose-Turnier, bei dem Teilnehmer vor und nach dem Wettbewerb befragt wurden. Es zeigte sich, dass alleine das Nachdenken über Vorhersagen die Teilnehmer moderater machte – politisch wie persönlich – und sie offener für andere Perspektiven wurden. (Wer das Originalpaper aus 2019 lesen will, findet es hier.)
Klingt das zu akademisch? Zu verkopft? Werden wir konkret!
Was bedeutet das für uns, für euch, für die Buchhaltung?
Der Schlüssel ist, Prognosen nicht als genaue Zukunftsbilder zu verstehen, sondern als Werkzeuge, die uns zum regelmäßigen Nachdenken und Handeln anregen. Szenario-Planungen zielen nicht darauf ab, exakt zu sein, sondern nützlich. Das ist ein entscheidender Unterschied. Dennoch bewerten wir Menschen/Experten immer noch danach, ob ihre Prognosen exakt so eingetreten sind – oder nicht.
Das führt zu Verzerrungen und zu einer ganzen Industrie von vermeintlichen Zukunftsexperten, die z.B. jedes Jahr einmal laut ins Blaue rufen: Jetzt geht die Welt aber wirklich unter. Wenn diese sogenannten Dr. Dooms dann einmal zufällig richtig liegen, werden sie in jede Talkshow gezerrt und sie erhalten Titel wie z.B.: Der Professor, der die Finanzkrise exakt hervorsagte. Was für ein Bullshit!
Abschließend lehrt uns das Prognose-Paradox, dass der wahre Wert in der Vorbereitung und im Umgang mit Unsicherheit – also der Zukunft – liegt. Das Ziel ist nicht, die Zukunft exakt vorherzusagen, sondern sich besser auf sie einzustellen. Denn schon Mark Twain wusste: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.
Ihr seid als Steuerkanzlei – trotz hoher regulatorischer Hürden – einem stetigen Wandel unterworfen, wie jedes andere Unternehmen auch.
Ich würde daher jedem Kanzleiinhaber empfehlen, sich z.B. einmal im Jahr ein oder zwei Tage mit dem gesamten Team zu nehmen und gemeinsam – und ohne Denkverbote – zu überlegen, wie die Tätigkeiten, mit denen man aktuell noch Mandanten glücklich macht und Geld verdient, in drei, fünf oder sieben Jahren aussehen könnten. Ich bin überzeugt, dass diese Gedankenspiele dazu führen, dass jeder zukünftig viel offener auf die eigenen Handgriffe, Prozesse, Tools, … blickt und sich Gedanken über Optimierungen und Veränderungen macht. Die Zukunft also selbst gestaltet und sich nicht als Getriebener fühlt.
Meine Prognose (besser gesagt: Gedanken) zur Zukunft der Buchhaltung kennt ihr und ich freue mich darauf, diese mit vielen Menschen in und aus Steuerkanzleien zu diskutieren und gemeinsam daran zu arbeiten. Als Nächstes mache ich das in einer großen Steuerkanzlei in der Nähe der Schule meiner Kids, deren Parkplatz ich jeden Morgen nutzen darf (Ja, ich gestehe, ich bin Betreiber eines Eltern-Schul-Taxis) 😉 und dessen Inhaber uns – also Taxdoo – bereits in 2015, noch vor der Gründung, den Rücken gestärkt hatte, als kaum jemand an unsere Prognosen glaubte.