Neue Ampel-Regierung im Amt – Was erwartet den E-Commerce?

Die Ampel-Koalition hat viele steuerliche und regulatorische Vorhaben angekündigt, die gerade auch für Onlinehändler spürbare Auswirkungen hätten. Wir zeigen Euch, welche Themen hinsichtlich Steuern und anderen Regulierungen auf die stetig wachsende E-Commerce-Branche zukommen.
David Dietsch
David Dietsch
  • 10 min. Lesezeit
Neue Ampel-Regierung im Amt – Was erwartet den E-Commerce?

Seit dem 8. Dezember 2021 hat die erste Ampel-Regierung in der Bundesrepublik die Arbeit aufgenommen. Grundlage für Regierungsarbeit ist der Koalitionsvertrag, den SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP hierzu geschlossen haben. Im Koalitionsvertrag sind – neben anderen Themen – auch die Eckpfeiler der künftigen Steuerpolitik enthalten.

Das Steuerrecht wird jetzt (endlich) digital 

Noch bevor absehbar war, wer Deutschland künftig regieren wird, war die Erwartungshaltung an die neue Bundesregierung enorm. Neben der Bewältigung des Klimawandels ist die Digitalisierung das zentrale Thema für die nächste Legislaturperiode. Besonders deutlich wird der digitale Nachholbedarf mit Blick auf die deutsche Finanzverwaltung. 

Ich möchte das Bundesfinanzministerium verstehen als Ermöglichungsministerium. Das Ministerium, das die Vorhaben der neuen Bundesregierung ermöglicht.

Bundesfinanzminister Christian Lindner

Entsprechend enthält der Koalitionsvertrag diverse Pläne zur Digitalisierung und Entbürokratisierung verschiedener Steuerverfahren – und zwar nicht nur im Umsatzsteuerrecht. 

Was ist ein Koalitionsvertrag überhaupt?

Die Grundlage für die künftige Steuerpolitik ist der Koalitionsvertrag, den SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP geschlossen haben. Alles, was im Koalitionsvertrag enthalten ist, muss dann auch von den Regierungsparteien umgesetzt werden, oder etwa nicht?

In einem Koalitionsvertrag vereinbaren die Parteien die wesentlichen politischen Eckpunkte für die anstehende Legislaturperiode. Für gewöhnlich enthält ein Koalitionsvertrag das geplante Regierungsprogramm und die wichtigsten Vorhaben der künftigen Regierung. 

Anders als es der Wortlaut vermuten ließe, sind Koalitionsverträge jedoch keine rechtsverbindlichen Verträge, sondern letztlich lediglich politische Absichtserklärungen. Im Gegensatz zu “normalen Verträgen” sind die vereinbarten Vorhaben daher (leider) nicht gerichtlich einklagbar vom Koalitionspartner. 

Ein Koalitionsvertrag ist daher immer nur eine bloße Absichtserklärung der Regierungsparteien. Ob die nachfolgenden steuerlichen Vorhaben aber auch tatsächlich von diesen umgesetzt werden, ist also nicht sicher. 

E-Invoicing – Steuerhinterziehern wird der Kampf angesagt

Wie Ihr sicherlich wisst, macht die Umsatzsteuer den größten Anteil der Steuereinnahmen der Bundesrepublik aus. Gleichzeitig betreffen die meisten Steuerhinterziehungsdelikte auch die Umsatzsteuer. Speziell zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs beabsichtigen SPD, Grüne und FDP daher die Einführung eines neuen Kontrollsystems.

Exkurs Rechnungen und Umsatzsteuerbetrug:
Der häufigste Fall von Umsatzsteuerbetrug basiert auf dem Ausweis von Umsatzsteuer in Rechnungen. Mit Ausführung der jeweiligen Lieferung oder sonstigen Leistung entsteht hier Umsatzsteuer, die der Unternehmer (hier gleichzeitig Rechnungsaussteller) natürlich ans Finanzamt abzuführen hat. Sofern der Rechnungsaussteller allerdings tatsächlich keine Umsatzsteuer abführt, ergibt sich ein Problem. Gleichzeitig existiert nämlich genau diese Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer, die der Rechnungsempfänger (als Leistungsempfänger) entsprechend als Vorsteuer beim Finanzamt geltend machen kann. Im schlimmsten Falle erstattet das Finanzamt also Umsatzsteuer als Vorsteuer, hat aber für genau diesen Umsatz niemals Umsatzsteuer auf der Vorstufe erhalten. Leidtragender ist dann der Fiskus und letztlich der Steuerzahler. 

Die Ampel-Koalition plant, ein bundesweites elektronisches Meldesystem einzuführen, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet werden soll. Über dieses System müsst Ihr als Unternehmer Eure eigenen Rechnungen anfertigen.

Natürlich ist gegenwärtig noch nicht absehbar, wie dieses System ausgestaltet sein wird. Daher schauen wir, wie so ein E-Invoicing System in anderen Mitgliedstaaten umgesetzt worden ist:

Blick nach Italien – Sistema di Interscambio 

Ein vergleichbares elektronisches Meldesystem verwendet man bereits in Bella Italia. Denn auch hier grassiert der Umsatzsteuerbetrug. In Italien – einem Vorreiter in diesem Bereich – müssen Unternehmer daher schon seit 1.1.2019 im B2B- und B2C-Bereich alle Rechnungen elektronisch über das offizielle Austauschsystem Sistema di Interscambio (Sdl) versenden. 

Erst nach einem elektronischen Abgleich im Austauschsystem Sdl ist dann etwa der Vorsteuerabzug möglich. Rechnungen, die nicht über das Austauschsystem versandt werden, gelten ferner als nicht gestellt und werden entsprechend in Italien sanktioniert. 

Blick nach Polen – Krajowy System e-Faktur

Seit dem 1.1.2022 können polnische Unternehmer elektronische Rechnungen über eine neu geschaffene Plattform erstellen und versenden. Dies erfolgt über eine Plattform des polnischen Finanzministeriums „Krajowy System e-Faktur“. 

Gegenwärtig können polnische Unternehmer die Plattform nur nutzen, wenn Rechnungssteller und -empfänger dem zugestimmt haben. Erst ab Anfang 2023 soll die Plattform für alle Steuerpflichtigen verpflichtend sein. Ab diesem Zeitpunkt können dann entsprechend keine Rechnungen in Papier- oder elektronischer Form (z.B. als PDF) ausgestellt werden.

Exkurs: Elektronische Rechnung und elektronisches Meldesystem – ist das nicht dasselbe?
Seit dem 1.7.2011 sind in Deutschland elektronische Rechnungen und klassische Papierrechnungen gleichgestellt. Eine elektronische Rechnung ist eine Rechnung, die in einem elektronischen Format ausgestellt und empfangen wird (§ 14 Abs. 1 S. 8 UStG). Der wohl gängigste Fall einer elektronischen Rechnung ist der Rechnungsversand per E-Mail, in der die Rechnung als PDF angehängt ist. Gegenwärtig werden in Deutschland also elektronische Rechnungen lediglich Papierrechnungen gleichgestellt. Ein einheitliches digitales Format wird dagegen nicht vorgeschrieben. Mit solch einer Vorgabe könnte man aber tatsächlich die Rechnung digitalisieren und die dort enthaltenen Daten entsprechend auslesen, wie es Polen oder Italien etwa machen. 

Wie könnte ein elektronisches Meldesystem für Rechnungen in Deutschland aussehen?

An dieser Stelle wagen wir mal einen Blick in die Glaskugel. Basierend auf den oben genannten Meldesystemen, die in anderen Mitgliedstaaten existieren, können wir also lediglich eine Prognose abgeben, wie ein elektronisches Meldesystem für Rechnungen in  Deutschland künftig aussehen könnte. 

Im ersten Schritt werdet Ihr sehr wahrscheinlich eine Rechnung in einem Portal anfertigen müssen, in dem Ihr die Rechnungsangaben dort einfügt. Ähnlich wie in anderen Ländern wird es wahrscheinlich erstmal eine freiwillige Nutzung geben, bevor diese dann verpflichtend für alle wird. 

Gleichzeitig werden Eure eingegebenen Rechnungsdaten wohl an eine zentrale Stelle oder direkt an Euer zuständiges Finanzamt übermittelt. Aus unserer Sicht macht ein solches elektronisches Meldesystem nur Sinn, wenn diese Daten dann etwa mit Eurer Umsatzsteuer-Voranmeldung abgeglichen werden. 

In einem solchen Szenario hätte die Finanzverwaltung dann nicht nur die Summe der Bemessungsgrundlagen, die Ihr etwa in Eure Umsatzsteuer-Voranmeldung packt, sondern auch gleichzeitig jede einzelne Rechnung zur Hand.

Daraus ergeben sich dann ganz neue Überprüfungsmöglichkeiten für die Finanzverwaltung. 

Schöne neue E-Invoicing Welt – tatsächlich eine positive Entwicklung?

Auf den ersten Blick klingt die Einführung eines solchen elektronischen Meldesystems für Rechnungen mehr als vielversprechend. Schließlich packen die Koalitionäre die Wurzel des Problems an. Grundlage für jeglichen Umsatzsteuerbetrug ist nämlich die ausgestellte Rechnung.

Natürlich bedeutet das für Euch als ehrliche Steuerzahler zunächst einen Mehraufwand, da Ihr Euren bestehenden Rechnungsprozess zukünftig anpassen oder eine solchen sogar erst einführen müsst. Langfristiger Nutzen wäre aber tatsächlich die Schaffung eines gleichwertigen Wettbewerbs.

Was allerdings von vielen Seiten kritisiert wird, ist der deutsche Alleingang in dieser Sache. Es gibt bereits Pläne der EU, ein einheitliches System für denselben Zweck einzuführen. Ob das deutsche E-Invoicing dann auch zukünftig den europäischen Vorgaben entspricht, kann bezweifelt werden. Einfach weil die europäischen Vorgaben noch nicht existieren.

Wird ein EU-weites E-Invoicing kommen?

Es besteht daher die Gefahr, dass das künftige deutsche E-Invoicing nicht mit den EU-weiten Kriterien übereinstimmt. Das heißt im schlimmsten Falle Nachbesserung sowohl auf Gesetzesebene, bei Anbietern, und bei Euch auf Unternehmensseite. 

Dass die Etablierung eines solchen bundesweiten E-Invoicing-Systems eine Herkulesaufgabe ist, müssen wir Euch sicherlich nicht sagen. 

Wir können nur hoffen, dass eine solche Einführung besser läuft als seinerzeit der OSS

Betrugsbekämpfung die Zweite – Pläne zur Ausweitung des Reverse Charge Verfahrens

Die Ampel-Koalition sagt dem Umsatzsteuerbetrug auch mit einer weiteren Maßnahme den Kampf an. Auf EU-Ebene will sich die neue Bundesregierung dafür einsetzen, dass das Reverse Charge Verfahren ausgedehnt wird.

Exkurs – Was ist Reverse Charge?
Beim sogenannten Reverse Charge Verfahren findet eine Umkehr der Steuerschuldnerschaft statt. Normalerweise schuldet immer der Unternehmer die Steuer, der den Umsatz (Lieferung oder Dienstleistung) auch ausführt. Für bestimmte Fälle schuldet aber der Leistungsempfänger die Steuer. Die wohl bekanntesten sind grenzüberschreitende Dienstleistungen (vgl. § 13b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 UStG). Ansonsten greift das Reverse Charge Verfahren schon gegenwärtig vor allem bei Leistungen, die besonders beliebt sind bei Steuerbetrügern (etwa Bauleistungen oder Reinigungsdienstleistungen). 

Mithilfe eines solchen ausgedehnten Reverse Charge System auf EU-Ebene erhofft sich die Ampel-Koalition eine effektive Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs.

So könnte ein solches System den Umsatzsteuerbetrug flächendeckend erschweren und für weniger Steuereinbußen sorgen. Eine effektive Verfolgung von Steuerstraftaten auf internationaler Ebene und eine internationale Steuergerechtigkeit wären die Folge.

So gewichtig auch die Stimme Deutschlands in der EU sein mag, setzt eine solch umfangreiche Änderung des bestehenden EU-Mehrwertsteuersystems einen Konsens zwischen allen Mitgliedstaaten voraus. Also ein sehr ambitioniertes Ziel der Koalitionäre. 

Änderungen bei der Einfuhrumsatzsteuer?

Auch die Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) bleibt nicht von der Ampel-Koalition verschont. 

Ziel der Bundesregierung ist es, im europäischen Wettbewerb gleiche Bedingungen zu schaffen und gemeinsam mit den Bundesländern die EUSt weiterzuentwickeln. Was das konkret bedeutet, lässt sich dem Koalitionsvertrag allerdings nicht entnehmen. Hier lohnt sich aber erneut ein Blick ins Ausland.

Blick nach Frankreich – Keine Vorfinanzierung der EUSt mehr

In Frankreich registrierte Unternehmer müssen die EUSt seit dem 1.1.2022 nicht mehr an die Zollbehörden entrichten. Stattdessen erklärt der Einführer die EUSt in seiner französischen Umsatzsteuermeldung. Die Deklaration ähnelt dann in etwa dem bekannten Reverse Charge Verfahren.

Der Steuerschuld in Form der zu entrichtenden EUSt steht dann gleichzeitig ein Vorsteuerabzug gegenüber. Ist der Unternehmer voll vorsteuerabzugsberechtigt, besteht im Ergebnis keine Zahlungsverpflichtung für den Unternehmer mehr. 

Bisher war die EUSt so ausgestaltet (und eben gegenwärtig in Deutschland), dass die EUSt erst entrichtet werden musste und erst danach ein Vorsteuerabzug für den Unternehmer möglich war. Der Unternehmer hatte dadurch immer einen Liquiditätsnachteil aufgrund der Vorfinanzierung.

Finanzverwaltung goes digital

Der Koalitionsvertrag enthält daneben noch sehr allgemeine Aussagen, die vornehmlich die Finanzverwaltung betreffen. 

So soll etwa die Digitalisierung und Entbürokratisierung der Steuerverwaltung intensiviert werden. Dazu gehört dann etwa eine modernisierte und vor allem digitale Steuerprüfung. Konkret sollen Schnittstellen (API) und auch neue Technologien (z.B. Blockchain bzw. die Distributed Ledger Technologie) eingesetzt werden. 

Vorausgefüllte Steuererklärung (Easy Tax) und höhere Schwellenwerte

Ein weiteres Ziel der Ampel-Koalition ist es, Steuererklärungen einfacher zu gestalten und Schwellenwerte anzuheben. 

Die Koalition und vornehmlich die FDP möchte vor allem vorausgefüllte Steuererklärungen weiter etablieren. Hierbei nennt der Koalitionsvertrag das sog. Easy Tax Verfahren, welches den Steuerzahler effektiv bei der Steuererklärung unterstützen soll.

Daneben sollen vor allem bei der Einkommensteuer die Schwellenwerte angehoben werden. Die FDP will hierzu insbesondere Pauschbeträge anheben (z.B. Arbeitnehmer-Pauschbetrag). Dadurch werden nicht nur Steuerpflichtige entlastet, sondern auch die Finanzverwaltung, da bei Pauschbeträgen Dokumentations- und Nachweispflichten entfallen. 

Exkurs: Arbeitnehmer-Pauschbetrag
Egal wie niedrig Eure Werbungskosten sind, das Finanzamt berücksichtigt bei Eurer Einkommensteuererklärung automatisch den sog. Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von gegenwärtig 1.000 EUR. Dieser Betrag wird dann von Euren Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit abgezogen.

Ein weiterer Schwellenwert, der vor allem für Start-Ups und Neugründer wichtig ist, ist der Schwellenwert für Kleinunternehmer bei der Umsatzsteuer. Kurz gesagt müssen Kleinunternehmer keine Umsatzsteuer auf ihren Rechnungen ausweisen und vor allem keine Umsatzsteuer ans Finanzamt abführen. Gleichzeitig haben Kleinunternehmer aber auch kein Recht zum Vorsteuerabzug aus Rechnungen.

Die relevante Schwelle hierzu beträgt gegenwärtig 22.000 EUR. Dieser Wert wurde allerdings erst kürzlich angehoben, sodass eine erneute Erhöhung eher unwahrscheinlich ist. 

Fazit: Viele steuerliche Änderungen sind angekündigt, wir bleiben für Euch am Ball

Welche dieser steuerlichen Anpassungen nun tatsächlich, und wann, umgesetzt werden, ist noch nicht absehbar.

Klar ist nur, dass wir über alle wichtigen Änderungen für Onlinehändler hier im Taxdoo Blog und unserem Newsletter berichten werden.

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